"Ich walle, also bin ich: Das Leben nach dem Wechsel ist geil!"
Hilde Fehr, 57, Beziehungscoach und Ex-Kabarettistin, erzählt, wie Sie durch den Wechsel zu einem neuen Selbst fand.
400 Menschen im Saal, ich oben auf der Bühne, zum ersten Mal im Programm mit dabei: mein Mann, seines Zeichens Winzer, sprich kabarettistisch gesehen Highrisk – denn wer weiß, ob er auf der Bühne halten wird, was er in den Proben versprochen hat.
Das Publikum lacht. Puh Gott sei Dank, erste Hürde, er kommt an… rattert es in meinem Kopf.
Auftritt: der Wechsel
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Und just im nächsten Augenblick sprießt mir, gefühlt wie vom Himmel oben angeworfen, das allererste Mal der Schweiß aus allen Poren.
What the fuck ist das? schreit es in meinem Hirn. Ich bin als Kabarettistin ein alter Bühnenprofi, ich kenne Nervosität, ich kenne gefühlten Herzstillstand, weil keiner im Publikum reagiert …, aber hier läuft grad alles bestens, die Leute johlen … also was ist das …?!
Und mir ist, als laufen Bäche des peinlichsten Schweißes ever in derselben Sekunde aus allen Kanälen meines Körpers nach draußen, als hätte man die Mauern eines Stausees gerade mit einer Bombe zerstört, und als müssten alle Wassermassen genau jetzt unter Hochdruck in Sekundenschnelle das Innere meines Körpers verlassen.
Dem nicht genug, höre ich aus den Monitoren im Saal in der nächsten Sekunde folgende Worte aus meinem Mund purzeln:
Ja, und jetzt wird’s noch peinlicher …
Ich walle – wo sind die Handtücher?
Mein Mann hatte nämlich grade seine Sicht der Dinge einer gemeinsam erlebten Situation dargestellt, eine Situation, die mich als ziemliche Zimtzicke dastehen lässt.
Denn ich walle! Die sexyste Version von Frau Ü50 hat genau jetzt ihre Schleusen geöffnet! Wo sind die Handtücher?!
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Mein Mann liegt vor Lachen, denn so etwas hatten wir nie geprobt. Das Publikum tobt, ich lache mit, aber es ist einer der peinlichsten Momente, die ich je in meinem ganzen Leben ausstehen musste: Öffentlich dabei beobachtet zu werden, wie ich den Startschuss bekomme für das Leben namens: menopausal.
Hilde, jetzt ist es vorbei, denke ich mir während alle vor Lachen schreien: Du bist nicht mehr Herrin deines Körpers. Du bist jetzt offiziell alt, Freiwild für triefenden Schweiß aus allen Poren, unsexy und als Frau am Ende!
Nach der Aufführung werde ich für meinen Umgang mit dem bühnenreifen Schweißausbruch von allen gefeiert. Aber, ganz ehrlich, innerlich bin ich an diesem Abend am Ende.
Allerdings: Hätte ich damals gewusst, was das Leben jenseits von jung und sexy in der Welt des Wallens und Wechselns noch mit sich bringen würde, wäre ich wahrscheinlich dankbar und ergeben den Abend feiernd am Tresen gehangen und hätte die letzten Flaschen Prosecco auch so richtig genossen!
Und was kam dann?
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Bleibt natürlich die Frage, was kam dann?
- Schweißausbrüche in der Nacht mit mehrmaligem Nachthemd-Wechsel.
- Berufswechsel ins Selbstwert- & Paar-Coaching, weil mein Inneres nicht mehr auf Bühnen gehen wollte.
- Schweißausbrüche in der Praxis, vor Paaren und EinzelkundInnen, immer mit der Info: Ich wechsle. Ich bleibe aber trotzdem kompetent. Das gibt mir viel.
- Graue Schamhaare. Das war mir urpeinlich, keine Ahnung warum.
- Kein Kuscheln mehr in der Nacht mit meinem Mann, weil Schweißausbrüche.
- Eine Unterleibsausschabung, weil ich in 4 Wochen 3 Wochen lang die Regel hatte.
- Ganz viel Scham nicht mehr ich und keine sexy Frau mehr zu sein.
- Kein Lebensfreudegefühl mehr – das wurde aber schnell mit chinesischen Kräutertabletten behoben.
- Die bittere Erkenntnis: Ohne Alkohol, Zucker, Chips und Co. walle ich weniger – nur, wer ist denn so standhaft?
- Und vieles andere mehr …
Sieben Jahre später …
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Und was ist heute, sieben Jahre später so geil daran?
Zuerst einmal, dass mir wieder der Begriff geil nahe ist. Wortwörtlich und im Sinne von Lebensfreude.
- Mein Sexleben ist vollkommen anders geworden, so unkompliziert, so zack zack. Heißt: Das, was Partner früher beklagten – es wäre ihnen zu anstrengend, bis wir endlich Sex hätten, weil dieses zuerst einladen müssen, massieren und tagelang zuhören so mühsam sei –, ist weg. Es ist, als tickte ich männlicher. Ich denke mir öfter, los geht’s, streicheln reicht schon lange!
- Das Thema "bitte ein Kind, nein kein Kind, Achtung aufpassen" ist keins mehr. Es ist ein Zustand von absoluter Sicherheit. Keine Diskussion über Optionen mehr.
- Ich liebe mein neues Berufsfeld mehr als (fast) alles auf der Welt. Ich wäre ohne Wechsel aber nie auf die Idee gekommen, die Bühne zu verlassen. Heute bin ich nur glücklich darüber.
- Mein Selbstwert und Selbstvertrauen ist am Zenit.
- Ich spüre und lebe meinen Werte, sehe mich als Geschenk für die Welt (was jeder von uns ist) und tue, was ich will!
- Ich erlaube mir gefühlt nochmal 1000mal mehr. Ich mache mich nicht mehr klein.
- Ich liebe es, täglich älter zu werden, mir nix mehr zu schei…, mich und meinen Körper – wieder oder neu – zu lieben, mit mir selbst verheiratet zu sein, sprich, zuerst einmal mir treu zu bleiben und zu wissen: Der Sinn im Leben ist nicht Erfolg oder Mann oder Status und Kinder, der Sinn ist, sich sinnvoll zu fühlen.
Und ich fühle mich sogar genau jetzt sinnvoll, wenn ich hier schonungslos ehrlich von mir erzähle, weil wir sowieso alle im selben Boot sitzen. Und es sich besser für uns alle anfühlt, wenn wir unser Innerstes miteinander teilen.
In diesem Sinne: Der Wechsel ist geil, weil ich inzwischen mein Leben immer und jeden Tag zu einem Feuerwerk mache.
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