"Jede Veränderung hat mich zu einem glücklicheren Menschen gemacht."
Tränen, hemmungsloser Grant und Lust auf zukünftigen Sex: Die Wienerin Kris Jadama, 50, erzählt ohne Tabus von ihrem Wechsel – und der Chance, die ihn begleitet.
Hallo und willkommen in meinem Leben: Mein Name ist Kris, ich bin 50 Jahre alt und Single aus Wien. Ich arbeite seit 27 Jahren im Backoffice einer Bank, aber eine klassische Bankerin bin ich nicht – nie gewesen. Ich mag Rock und Blues und gehe gerne auf Biker-Feste, denn dort ist die Atmosphäre immer sehr entspannt und alle, die sich zu benehmen wissen, sind willkommen. Ihr seht: Ich passe in keine Schublade. Denn Schubladen-Denken, das passt auch nicht zu mir.
Rausch der Hormone
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Meine Mutter hat mir mal erzählt, wie es bei ihr war, als sie in den Wechsel kam: Sie hat sich allein unter den Tisch gesetzt und stundenlang geweint. Nun, da bekommt man es schon mit der Angst zu tun, gerade ich, die sehr nahe am Wasser gebaut ist und prämenstruell äußerst zickig werden konnte.
Ich rechnete das quasi hoch – und bekam schreckliche Angst, dass ich alle meine Freund:innen im Wechsel verschrecken würde. Die kennen mich gut – an den Tagen vor den Tagen gab es nur zwei Möglichkeiten: mich in den Arm nehmen oder mich (am besten) eine Zeit lang zu ignorieren. Auch meine melodramatischen Nachrichten – ja, meinen Hormonen war ich immer völlig ausgeliefert. Aber ich habe den Zustand offen kommuniziert und meine Lieben immer vorgewarnt.
Selbsthilfe lernen
Dann kam der Winter 2019/2020 samt Corona. Das hat für mich sehr viel geändert. Nicht die Krankheit selbst (bislang blieb ich davon verschont), aber mein Umfeld wurde ein anderes. Ich habe Frauen kennengelernt, die im Einklang mit der Natur leben und sich von ihr leiten lassen. Mit ihrer Hilfe konnte ich alte Wunden heilen. Ich habe die Erde als unsere Mutter begriffen, als eine Kraft, die uns dabei unterstützt, dass wir unsere wahren Gefühle ausleben und wieder in Verbindung mit unserem Inneren treten können.
Wie bereits erwähnt, hatte ich nie große Probleme damit, meiner Stimmung Ausdruck zu verleihen, aber sehr diplomatisch war ich dabei nie. Jetzt lernte ich, mich auch mit meinen negativen Seiten zu versöhnen, und vor allem: dass ich mich selbst lieben darf. Eine gute Vorbereitung auf das, was bald folgen sollte.
Wut und Rührung
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Heute stehe ich am Beginn der Wechseljahre. Ungefähr vor einem dreiviertel Jahr ging es los. Ich war plötzlich grundlos supergrantig und habe selbst bei Kleinigkeiten überreagiert. Von diesen Gefühlen war ich zuvor eine Zeitlang verschont geblieben, aber jetzt waren sie wieder da – mit voller Wucht: Dieser Knoten im Bauch, diese anlasslose Wut, die ungeschönt eskalierten wollte.
Unvergessen das Erlebnis als mir ein Freund ein YouTube-Video von einem Straßen-Musiker zeigte: ein älterer Herr, der sehr gefühlvoll performte. Ich habe nicht aufhören können zu weinen, und jetzt wo ich daran denke, kommen wieder die Tränen in mir hoch.
Rührung ist ein schönes Gefühl, berührbar zu sein, ist wichtig – aber das war einen Tick zu viel des Guten. Am nächsten Tag kamen mich meine besten Freundinnen besuchen und fragten, ob ich nicht psychologische Hilfe in Anspruch nehmen will. Aber ich habe Eins und Eins zusammengezählt, und statt zum Psychiater führte mich mein Weg zur Frauenärztin. Nach dem Hormonstatus bestätigte sie, was ich angenommen hatte: Ich war und bin im Wechsel – und wie!
Sorry, ich bin im Wechsel
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Aber: Ich habe keine Angst mehr davor. Es verändert mich, und ich freue mich auf diese Veränderung. Denn jede Veränderung hat mich stets zu einem glücklicheren Menschen gemacht – so soll und wird es auch mit dem Wechsel sein. Vor dem Älterwerden fürchte ich mich nicht, mit meinem jüngeren Ich würde ich niemals tauschen.
Was wirklich hilft? Es ansprechen! Letzte Woche habe ich bei einem beruflichen Gespräch sehr grantig reagiert, kurz innegehalten, überprüft, was da gerade passiert – und es einfach ausgesprochen: Tut mir leid, ich bin gerade im Wechsel. Meine Gesprächspartnerin hat sehr verständnisvoll reagiert, wir haben gemeinsam gelacht. Was gibt es Schöneres? Um mich herum wissen mittlerweile alle, dass ich im Wechsel bin – ich wusste gar nicht, dass das ein Tabuthema für viele Frauen ist.
Mir ist es wichtig, dass sich keiner Sorgen machen muss – auch ich nicht um mich selbst. Die Reaktionen jedenfalls reichten von ungläubig (weil ich recht früh dran bin) bis hin zu liebevoll. Ändern kann man es eh nicht – warum nicht damit leben?
Sex und Liebe
Eigentlich erinnert mich der Wechsel an meine prämenstruellen Phasen: die Zickigkeit, das Weinen, weil ich gerührt oder sauer bin – und vor allem die extreme Lust auf Sex! Ich habe die letzten Jahre mein Sexleben nicht wirklich kultiviert, aber wenn die Pandemie mal vorbei ist, habe ich vor, zu leben wie ein junger Single. Ich werde mir jemanden zum Vergnügen suchen, auch wenn dieser jemand nicht die große Liebe ist, die ich lange gesucht habe. Mir ist bewusst geworden, dass ich ohne Körperlichkeit nicht leben möchte.
Das Einzige, was mich am Wechsel nervt, sind die Schlafstörungen. Früher konnte ich quasi im Stehen einschlafen – jetzt ringe ich um jede Minute Tiefschlaf. Die Hitzewallungen nerven mich nicht so – ich habe immer schon leichter geschwitzt als andere, in mir brennt eben ein gewisses Feuer. Da ich keine Hormone nehmen darf und will, behelfe ich mir manchmal mit Naturmedizin, es gibt viele Pflanzen wie Roter Klee oder Frauenmantel, die uns im Wechsel unterstützen. Die kann man sich in der Apotheke holen oder teils auch einfach beim Spaziergehen pflücken.
Schluss mit den Spielchen
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Ich hoffe, ich kann mit meiner Offenheit jenen Frauen helfen, die es gerade brauchen. Ihr seid alle wundervolle Wesen – fürchtet euch nicht davor, euch selbst zu lieben. Eure Gefühle sind wertvoll und wollen, müssen, sollen ausgesprochen und ausgelebt werden. Gerade im Wechsel. In diese Phase des Lebens ist Schluss mit dem angepassten Leben.
Geben wir den Menschen – auch den Männern – in unserem Umfeld doch die Chance uns zu verstehen. Wir sind alle gleich viel Wert. Wir haben enorm viel Power und enorm viel zu geben, wenn man auch uns gibt. Schluss mit den Spielchen – her mit dem wahren Leben!
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