Bella Angora: "Im Wechsel will ich langsamer werden und offen bleiben"
Bevor ich in die Kiste steige, will ich mir selbst die Nächste sein: Ausführlich, präzise und unglaublich spannend liest sich die Wechselgeschichte der Künstlerin.
Ich bin 56 Jahre jung oder alt (eigentlich egal, also zumindest mir) und lebe in Wien. Als selbständige Bildende Künstlerin/ Performerin/ Regisseurin/ Autorin/ Musikerin bewege ich mich durch unterschiedlichste Medien und vollbringe einen lustvollen Spagat zwischen Bildender Kunst und Theater. Ich tauche gerne durch unterschiedliche kreative Pools, dadurch bleibe ich wach. In meinem Job bin ich in gewisser Weise in einem permanenten Wechsel, und das ist gut für mich.
Meine Biografie: Erst musste ich mich selbst befreien
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Auch meine bisherige Biografie hat so einiges an Wechselpotential vorzuweisen, denn im Alter von 18 bis 39 Jahren war ich vor allem eines: unterwegs. Ich lebte in insgesamt sieben verschiedenen Städten – es war wohl so, dass ich diesen ständigen Wandel im Außen brauchte, um auch innerlich Veränderung vollziehen zu können. Dazu gehörte vieles loszulassen, ob das Rollenklischees waren in Hinblick aufs Frausein oder darüber wie eine berufliche Karriere zu gestalten ist. Oft hatte ich den Eindruck, mit jeder neuen Stadt konnte ein weiterer Teil in mir befreit werden.
Meine erste Performance zeigte ich in San Francisco auf der Straße, primär aufgrund von Geldnot. Dort erlebte ich erstmals, wie reinigend und befreiend es sein kann, sich in aller Verletzlichkeit zu präsentieren. Das war für mich einerseits ein Klippensprung in eiskaltes Wasser, gleichzeitig ging mir eine ganze Knopfleiste auf. Die Kunst ist für mich nach wie vor ein großartiges Werkzeug, um mit mir selbst ins Reine zu kommen und gleichzeitig eine Kommunikationsebene zu meinem Umfeld zu schaffen. Sie ist mein safe space. Außerdem fordert sie mich immer wieder auf, mich neu zu definieren, zu analysieren und kritisch zu hinterfragen.
Wechseljahre in der Kunst: Massiver Entwicklungsprozess
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Die Wechseljahre erlebe ich generell als eine intensivierte Phase der Transformation. Oft habe ich den Eindruck, ich katapultiere mich selbst in ein neues ICH, dass ich noch nicht kenne und erst langsam herausfinde, wie das so tickt. Was dieses ICH auf Körper- und Psychoebene will (und nicht mehr will), und wie ich es einrichten kann, dass es alles hat, was es braucht – und gehen lässt, was es nicht mehr braucht. Und das ist verdammt viel. Ich merke mehr und mehr, dass ich weniger und weniger brauche. Und dass ich mich selbst am meisten brauche. Meine Liebe in und zu mir, mein Selbstvertrauen, meine Zärtlichkeit, meine Neugier auf alles, was noch kommt, mein Humor und meine Traurigkeit, meine Wut und meine Angst.
Es führte also kein Weg daran vorbei, diese unfassbar spannende und herausfordernde Phase, diesen massiven Entwicklungsprozess auch auf einer künstlerischen Ebene zu bearbeiten. Ich entwickelte eine Performance mit dem Titel Me Myself & Time. Bereits in früheren Projekten befasste ich mich mit dem Faktor Zeit, mit Aspekten wie Vergänglichkeit und Lebenstempo. Meine Perspektive ist dabei immer feministisch geprägt, denn vieles, was Zeit knapp werden lässt, sind meines Erachtens Resultate eines auf Leistung und Gewinnmaximierung getrimmten patriarchal-hierarchischen Systems.
Noch wissen wir zu wenig über den Hormonhaushalt
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Vorbereitet auf den Wechsel war ich so gut wie gar nicht. Ich wusste lediglich, irgendwann kommt er und es wird wohl speziell. Mein Hormonhaushalt war in jungen Jahren sehr unregelmäßig und erst ab ca. 30 kam meine Periode kontinuierlich. Mit 51 hatte ich eine Trennung von meinem damaligen Lebenspartner. Einige Monate danach blieb die Periode aus, und ich war so richtig mittendrin in den Wechseljahren.
Mit Gelenksschmerzen, Schlaflosigkeit und innerer Unruhe hatte ich schon lange zu tun, vielleicht war mein Hormonhaushalt nie besonders optimal. Vielleicht fehlte mir immer schon Progesteron. Ich weiß es nicht, ich kam nie auf die Idee, das testen zu lassen, sondern lebte damit und schob es auf mein sensibles Nervensystem und den existenziellen Stress, den ich als selbständige Künstlerin oft habe.
All diese Symptome verstärkten sich im Wechsel massiv. Teilweise war der Umgang damit eine echte Herausforderung, teilweise ist er es immer noch. Gerade deshalb finde ich es enorm wichtig, dass der weibliche Hormonhaushalt und seine Veränderungen mehr thematisiert wird. Das menschliche Hormonsystem ist unglaublich komplex und noch wissen wir viel zu wenig darüber. Da braucht es sehr viel mehr an Forschung.
Hochschaubahn: Mein Körper fordert Veränderungen ein
Ich versuche meinen Körper in dieser Hochschaubahn-Phase so gut wie möglich zu unterstützen, indem ich mich gut ernähre, bewegt habe ich mich immer schon viel, ich trinke kaum Alkohol und rauche nicht. Die Meditation ist für mich schon lange ein effektives Mittel im Zuge von kreativen Prozessen, bei der Ideenfindung steht bei mir immer die Meditation am Anfang. Der Wechsel ist in gewisser Hinsicht auch eine Form eines kreativen Prozesses, da – wie schon erwähnt – ein neues ICH geboren werden will.
Grundsätzlich habe ich das Gefühl, dass ein Teil der Symptome des Wechsels darauf zurückzuführen ist, dass der Körper den eigenen Raubbau so nicht mehr akzeptiert und eine Veränderung im Umgang mit sich selbst einfordert! Ich habe mal gelesen, dass auf einer energetischen Ebene bei jeder Wallung eine psychische Blockade verbrennt. Ich fand das einen schönen Ansatz, auch, weil dadurch etwas Unangenehmes einen positiven Aspekt erhält.
Wie ich mich in den Wechseljahren supporte
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Ich meditiere täglich und lege dabei meinen Fokus besonders auf die Atmung. Oft begleite ich meine Atmung mit einer Art Gesang/Summen, wobei es mir dabei besonders wichtig ist, die Schilddrüse innerlich durch Vibrationen zu massieren. Die Schilddrüse ist bekanntlich in den Wechseljahren auch ziemlich unter Stress, und ich versuche dadurch etwas Harmonie zu etablieren. Zusätzlich massiere ich sie mit einem speziellen Öl für die Schilddrüsenfunktion.
Im Umgang mit weiteren Symptomen helfen mir außerdem: Lavendelkapseln zum Schlafen, Beinwellbalsam für die Muskeln und Gelenke, heiß-kaltes Duschen, Yoga und Antara, tanzen zu meiner Lieblingsmusik und, wie gesagt, generell: ein bis zwei Gänge runterschalten! Ich visualisiere das ab und zu, und das hilft mir tatsächlich beim Verlangsamen.
Die Entschleunigung ist für mich ein wesentlicher Bestandteil des Wechsels, und immer wieder erlebe ich mich selbst im Kampf gegen ein altes Ich, dass möglichst schnell, möglichst viel erleben und erreichen möchte. Die sprichwörtliche Altersweisheit beinhaltet aus meiner Sicht im Besonderen die Fähigkeit, in einer langsamen Qualität durch das Leben zu schreiten, und zwar erhobenen Hauptes! Dieses Langsamer werden ist für mich ein bestimmender Faktor im Zuge des Älterwerdens. Ich sehe das überhaupt nicht negativ, im Gegenteil: Da, wo ich früher gehetzt und ungeduldig war, bin ich jetzt entspannter, geduldiger und eben auch langsamer. Zumindest ist das mein Plan. Ich habe das Gefühl, im Wechsel lernen wir, den Dingen ihre Zeit zurückzugeben. Aus hard and fast wird soft and slow!
Forderung an die Politik: Frauen sind von Altersarmut bedroht
Ich sehe die Politik im Besonderen aufgefordert, entsprechende Lebensbedingungen für ältere Menschen zu gewährleisten. Sehr viele Frauen sind von Altersarmut bedroht. Ein Faktor, der die innere Entspannung nicht unbedingt fördert! Ich finde es gut und wichtig, dass ältere Menschen möglichst lange aktiv bleiben, aber Aktivität bedeutet für mich nicht unter dem Druck zu stehen, den eigenen Lebensunterhalt zu finanzieren. Es bedeutet für mich, mit Freude und einer gewissen Freiwilligkeit Dinge zu tun, die im Laufe eines Lebens perfektioniert wurden, und im Rahmen dieser Aktivität etwas weitergeben an nachfolgende Generationen zu können. Dies würde auch das Aufeinander-Zugehen fördern, anstelle eines kalten Schnittes zwischen jung und alt. Und ich sehe die Zeit des Wechsels auch als eine Phase, in der ich mir Gedanken machen will: Wo gibt es neue Bereiche, in denen ich Erfahrung und Wissen weitergeben kann und gleichzeitig von jungen Menschen Neues lerne?
Das Credo? Es ist nicht gut, aber ich lasse es gut sein.
Seit der Trennung lebe ich als Single, habe keine Kinder und teile mein Leben mit meiner Hündin Perla, mit der ich täglich lange Spaziergänge mache. Die Bewegung an frischer Luft hilft mir bei Wallungen, Unruhe, Müdigkeit und mehr. Ich bin so oft es geht in der Natur, dort kann ich regenerieren, Kraft tanken und klar werden. Die Natur ist für mich ein Allheilmittel. Und ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen erkennen, dass wir immer ein Teil der Natur sind und jegliche Form von Umweltschutz in Wahrheit auch Selbstschutz ist.
Nachdem ich meist allein im Atelier arbeite, verbringe ich sehr viel Zeit mit mir selbst. Meistens genieße ich das, manchmal erdrückt mich aber auch die Einsamkeit. Aber auch das ist okay. Denn als wesentlicher Aspekt des Wechsels erscheint mir die Fähigkeit, Dinge nicht immer zwangsläufig ändern zu müssen, sondern auch mal sagen zu können: Es ist nicht gut, aber ich lasse es gut sein. Auf dem Weg lerne ich vielleicht noch mehr, mich selbst annehmen zu können: Als die, die ich bin, mit all meinen Unzulänglichkeiten, mit all dem Chaos in mir – und dem Scheitern, das zum Erfolg dazu gehört.
Mein Ziel: Ein zufriedenes Leben als alternde Frau.
Ich bin überzeugt, dass die Wechseljahre eine riesengroße Chance sind, das eigene Leben noch mal ganz genau zu betrachten und sich klar darüber zu werden, was und wer darin wichtig ist und was und wer nicht. Ich will neue Zukunftsaussichten etablieren und herausfinden, was ich noch erleben möchte, bevor ich in die Kiste steige. Und ich will mir selbst dabei die Nächste sein.
Auf all diesen Wegen versuche ich, die Dankbarkeit nie außer Acht zu lassen. Dankbar zu sein für alles, was ich habe, für alles, was ich bin. Diese Dankbarkeit ist für mich ein wertvolles Tool auf dem Weg in ein zufriedenes Leben als alternde Frau. Der Wechsel ist für mich auch Übergang in eine neue Weisheit und im Hinblick auf gesellschaftliche Entwicklungen erachte ich es als absolut notwendig, dass weise, alte Frauen mit viel Mut, Freude und innerer Kraft den Verwirrungen von einigen weißen alten Männern begegnen. In diesem Sinne: Es lebe der Wechsel!
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