Annunziata Schnurbein: "Unwissenheit ist das schlimmste Wechselsymptom"
Traurigkeit und ein Gefühl der Ohnmacht dominierten den Alltag von Annunziata , bis sie endlich eine Diagnose hatte: Perimenopause mit 37.
Eine optimale Wechseljahresgeschichte sollte so aussehen. Frau hat erste Symptome, sie erkennt diese, ordnet sie der Perimenopause zu und gemeinsam mit ihrem:r Ärzt:in entscheidet sie sich für die richtige Therapie, die sie vielleicht im Laufe der Zeit noch mal anpassen muss. Ende gut, alles gut. Leider hat das so gar nichts mit meiner Erfahrung zu tun.
Kurz zu mir. Ich bin Annunziata, heute 41 Jahre alt und lebe in Berlin-Neukölln. Hier führe ich das fast schon klischee-haft glückliche Single-Leben einer modernen Großstädterin. Dinner mit Freund:innen, Theater, Kino, Städtetrips am Wochenende sowie Strand und Kultururlaube. Beruflich arbeite ich als Geschäftsführerin eines Supplement-Start-ups, das sich vor allem auf pflanzliche Wirkstoffe konzentriert.
Doch von diesem tollen und intensiven Leben konnte mit 37 Jahren keine Rede mehr sein. Meine Perimenopause begann. Erst schleichend und subtil mit sporadischen, für mich auch im Nachhinein kaum greifbaren Symptomen (unter anderem einer kurzzeitigen Burnout-Depression). Dann mit 39 Jahren, Perimenopause als Vorschlaghammer, der mein ganzes bisheriges Leben zum Stillstand brachte. Die Hormonschwankungen führten bei mir zu einer mittelschweren Depression.
Mein Selbstverständnis als moderne, unabhängige Frau brach zusammen
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Wochen-, ja monatelang wurde ich täglich von meinen gesamten Körper durchschüttelnden und mich in vollkommener Erschöpfung zurücklassenden Traurigkeitsschüben und Heulkrämpfen heimgesucht. Ich konnte selbst die allerkleinsten Alltagstätigkeiten nicht mehr ausführen, wurde krankgeschrieben und musste bei Familie und Freundinnen auf der Schlafcouch unterkommen. Ich war nicht mehr in der Lage, mich um mich selbst zu kümmern. Neben der körperlichen Fatigue und Traurigkeit ist meine Haupterinnerung an diese Zeit ein Gefühl der Ohnmacht. Nichts, wirklich gar nichts hatte ich mehr unter Kontrolle. Mein bisheriges Leben und mein eigenes Selbstverständnis von mir als moderner, unabhängiger Frau brachen in sich zusammen.
Da verschiedenste Ärzt:innen meinen Verdacht, es könne sich um eine hormonell bedingte Symptomatik handeln, ignorierten (Ihr Zyklus ist noch regelmäßig und Sie sind mit 39 viel zu jung für die Wechseljahre.), begann ich in meiner Not, SSRI-Antidepressiva (Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) zu nehmen. Dank ihnen konnte ich meinen Alltag immerhin wieder allein meistern und nach drei Monaten auch wieder anfangen zu arbeiten.
Gut ging es mir mit den Mittelchen nicht. Die Amplitude meiner Stimmungsschwankungen war eindeutig abgeschwächt, die körperlichen Symptome, allen voran die Fatigue, blieben jedoch bzw. verschlimmerten sich aufgrund der in meinem Fall durch die SSRI hervorgerufenen Schlafprobleme. Meine Intuition sagte mir, dass die Mittelchen nur die Symptome und nicht die Ursache meines Zustands behandelten. Ich blieb also weiter auf der Suche nach einer für mich Sinn ergebenden Diagnose.
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Bis ich diese erhielt, sollten über acht Monate intensive Recherche und hormonelle Weiterbildung meinerseits sowie mehr als 20 Arzttermine vergehen. Im deutschen kassenärztlichen System begegneten mir immer wieder Unwissen und falsche Vorurteile über den Zusammenhang zwischen weiblichen Sexualhormonen und mentaler Frauengesundheit. Erst als ich in meiner Verzweiflung am Ende bereit war, für meine Behandlung privat zu zahlen, wurde mir zugehört und geholfen.
Ich brauche kein Mitleid
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Mit der richtigen Therapie, in meinem Fall bioidentischer Hormonersatztherapie, war ich dann über Nacht wieder die Alte. Ich stand am Morgen, nachdem ich mit der Therapie begonnen hatte, wie neugeboren auf und fühlte mich 15 Jahre jünger. Ich war nach vielen, vielen Monaten endlich wieder ich selbst – die glückliche Neuköllnerin, die ihr Leben in vollen Zügen genießt. Mir geht es heute so gut wie seit Jahre nicht mehr.
Ich erzähle meine Geschichte nicht, weil ich Mitleid möchte. Mir geht es heute wie gesagt wieder hervorragend. Ich erzähle meine Geschichte, weil sie alles andere als ein Einzelfall ist. Immer noch werden unzähligen Frauen in den Wechseljahren ein Burnout oder eine Depression diagnostiziert. Ihnen werden regelmäßig Klinikaufenthalte und Antidepressiva verschrieben. Sie werden als arbeitsunfähig erklärt. Dies bestätigt die Präsidentin der Deutschen Menopausegesellschaft, Dr. Katrin Schaudig, in ihre Podcast Hormongesteuert. Auch eine Meta-Studie vom April 2024 weist auf ein um 40% gestiegenes Depressionsrisiko aufgrund von Hormonschwankungen für Frauen in den Wechseljahren hin. Die meisten Frauen sprechen jedoch aufgrund der immer noch vorherrschenden Stigmatisierung von Depression nicht über diese Diagnose – auch ich habe mich lange dafür geschämt. Das Thema gelangt also nicht bzw. viel zu wenig an die Öffentlichkeit. Ich erzähle meine Geschichte außerdem, weil mein Leiden wie das so vieler anderer Frauen am Ende vollkommen vermeidbar gewesen wäre. Denn auch die schlimmsten Wechseljahresbeschwerden sind auf Basis der richtigen Diagnose sehr gut behandelbar.
Gemeinsam sind wir stark
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Damit es anderen Frauen nicht so geht wie mir und sie nicht so naiv wie ich in diese eigentlich doch so spannende Phase ihres Lebens stolpern, habe ich den Instagram-Account PeriHub ins Leben gerufen. Mit PeriHub möchte ich Frauen über die Wechseljahre und ihre möglichen Auswirkungen auf unsere (mentale) Gesundheit aufklären. Ich möchte außerdem zu mehr Awareness und zur Enttabuisierung auf systemischer Ebene beitragen. Denn wir Frauen tragen so viel mehr zu unserer Gesellschaft bei als unsere Fertilität. Auch sollte keine Frau unnötig leiden, weil es an Wissen und Bewusstsein über die Wechseljahre fehlt. Die eingangs erwähnte optimale Wechseljahresgeschichte darf nicht die Ausnahme bleiben, sondern muss zur Realität werden.
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