Wechseljahre, weltweit: Gibt es eine "kulturelle Menopause"?
Oft wird behauptet, dass asiatische Frauen weniger an Wechselbeschwerden leiden. Aber stimmt das? Gibt es beim Wechsel kulturelle Unterschiede? Das sagen neue Studien.
Ist es euch schon aufgefallen? Immer wieder wird berichtet, dass Frauen aus dem asiatischen Raum selten bis gar nicht unter den typischen Beschwerden der Wechseljahre leiden würden. Als wären diese ein rein westliches Phänomen. Als Gründe werden vor allem Lebensstil und Ernährung – reich an Soja und damit an Isoflavonen – genannt, aber auch kulturelle Unterschiede sollen mitspielen. Die kolportierte Theorie: In Afrika, Indien oder Südost-Asien, wo angeblich weniger Frauen an Wechselbeschwerden litten, stiege die soziale Stellung der Frau mit dem Alter oder sinke zumindest nicht. Wir haben uns die Sachlage mal genauer angesehen, und zwar im ersten Schritt die Wahrnehmung der Wechseljahre.
Wechseljahre im Nahen Osten
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Das Wort Menopause bedeutet im Arabischen so viel wie Alter der Verzweiflung. Es wird angenommen, dass dieser Ausdruck mit dem Ende der gebärfähigen Jahre zusammenhängt und nicht mit negativen Gefühlen im Zusammenhang mit dem Älterwerden. Die Werbekampagne einer Marke für Hygieneprodukte aus dem Jahr 2021 in Saudi-Arabien zielte darauf ab, die Wahrnehmung der Wechseljahre im Nahen Osten zu ändern – denn in einer Umfrage waren 81 % der befragten Frauen der Meinung, dass der Begriff in etwas Positiveres wie Erneuerung, Reflexion, Weisheit oder Kreativität geändert werden sollte.
Wechseljahre in Indien
In Indien werden die Wechseljahre im Allgemeinen als eine Zeit der Befreiung betrachtet. Frauen berichten, dass sie die typischen Symptome der Perimenopause erleben, betrachten die Wechseljahre jedoch als einen natürlichen Lebensabschnitt, der Vorteile mit sich bringt und sie von gesellschaftlichen Zwängen befreit. Ayurveda, die traditionelle indische Medizin, begreift die Wechseljahre als einen Übergang zwischen zwei Lebensphasen – der aktiven Zeit sowie der Zeit des Loslassens und des Besinnens auf das Wesentliche. Dieser Übergang wird als anstrengend gewertet, aber ist mit Ernährung, Entspannung und Bewegung gut in den Griff zu bekommen. Menstruierende Frauen gelten laut hinduistischer Tradition als unrein und dürfen nicht an religiösen Riten teilnehmen, was sich in der Post-Menopause ändert.
Wechseljahre in Afrika
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Die Menopause bedeutet das Ende des reproduktiven Potenzials, was je nach Region mal positiv, mal negativ gewertet wird. Für viele Mehrgebärende, denen moderne Verhütungsmethoden nicht zur Verfügung stehen, ist die Menopause daher eine große Erleichterung in Bezug auf ungewollte Schwangerschaften. In einigen Kulturen werden Frauen in den Wechseljahren schließlich sogar den Männern gleichgestellt, in anderen sieht es nicht so rosig aus: Wo der Menstruationsfluss als Reinigungsprozess betrachtet wird, der die Frau gesund erhält, kann das Ausbleiben auch mit Krankheit assoziiert werden.
Wechseljahre in Japan
Menopause auf Japanisch? Heißt Konenki. Ko bedeutet Regeneration oder Erneuerung, Nen bezieht sich auf mehrere Jahre, Ki beschreibt Saison bzw. Energie. Die Wechseljahre sind daher eine Zeit der Erneuerung in der Mitte des Lebens. Allerdings: Historisch wurde Konenki mit wohlhabenden Frauen der Mittelklasse in Verbindung gebracht. Von Frauen aus traditionellen, generationenübergreifenden ländlichen und auch deutlich ärmeren Haushalten wird nicht berichtet. Tatsächlich gab es lange kein Wort für Hitzewallung, angeblich weil japanische Frauen diese nicht bekommen. Das hat sich aber geändert, sogar ein Wort wurde kreiert: Von hotto furasshur" liest man nun immer öfter in japanischen Frauenmagazinen.
Wechseljahre im übrigen asiatischen Raum
Wie auch bei den anderen beschriebenen Regionen gilt: Asien ist riesig und China ist ein großes, vielfältiges Land mit diversen Subkulturen innerhalb seiner Grenzen – dementsprechend ist es gefährlich, zu verallgemeinern. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Einstellung, die Wechseljahre als eine natürliche Funktion des Lebens zu akzeptieren, in einigen Regionen deutlich positiver ist als in anderen. In Hongkong, einer Stadt mit sowohl östlichen als auch westlichen kulturellen Einflüssen, hatten die Frauen, die für einen Lebensqualitätsscore befragt wurden, im Allgemeinen eine positive Einstellung zu den Wechseljahren. Die postreproduktiven Jahre werden als Übergang in einen für die Gesellschaft wichtigen Lebensabschnitt angesehen: Dem Bild entsprechen ältere, erfahrene und weise Frauen mit viel Energie und bei bester Gesundheit. Und diese wird – ähnlich wie im japanischen Raum – immer wieder mit der Ernährungsweise, reich an Phyto-Hormonen, in Verbindung gebracht.
Wechsel-Beschwerden: Asiatische Frauen leiden anders
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Und nun die Tatsachen: Laut aktueller Studienlage berichten Frauen in asiatischen Kulturen zwar tatsächlich über weniger Hitzewallungen oder nächtliche Schweißausbrüche, dafür aber über mehr Stimmungsschwankungen, Schlaflosigkeit sowie Muskel- und Gelenkschmerzen. Entgegen der landläufigen Meinung leiden asiatische Frauen also auch unter Wechselbeschwerden, sie erleben sie nur anders. Japanerinnen zum Beispiel verbinden diese eher mit Kopfschmerzen, Schultersteife und Frösteln. Die Denkschule, die besagt, dass die klassischen Symptome ein spezifisch westliches Phänomen sind, ist also so nicht korrekt.
In Europa besteht die Auffassung, dass Frauen in Asien Wechseljahresbeschwerden nicht kennen. Forschungsergebnisse belegen allerdings, dass fast die gesamte weibliche Bevölkerung von Wechseljahresbeschwerden betroffen ist, einschließlich asiatischer Frauen, meint dazu der südkoreanische Ernährungswissenschaftler Dae-Ok Kim: Aufgrund der Annahme, dass diese viel Soja konsumieren, besteht auch die Auffassung, dass durch die Einnahme von Isoflavonen aus Soja deutlich geringere Wechseljahresbeschwerden verursacht werden. Doch angesichts der Tatsache, dass Isoflavone in einer Vielzahl von Nahrungsquellen enthalten sind, kann diese Behauptung als unbegründet betrachtet werden.
Soja ist tatsächlich eines der am besten untersuchten Lebensmittel im Zusammenhang mit Wechseljahrsbeschwerden, es gibt einige Hinweise darauf, dass der Verzehr mit weniger Hitzewallungen verbunden sein könnte. Noch ist die Studienlage aber zu schwammig um Phyto-Östrogene vollinhaltlich abzufeiern.
Worauf es ankommt: Der Wert einer Frau und die Wechseljahre
Generell ist zu betonen, dass das Leben von Frauen vor und nach der Menopause nicht uniform verläuft. Wie Frauen subjektiv mit dem Alter umgehen und ob postmenopausale Frauen einen Statuszuwachs erfahren oder ins gesellschaftliche Abseits rutschen, steht immer in kausalem Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Gesellschaftsschichten, mit dem Bildungsgrad und dem gesellschaftlichen Prestige.
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Zum Nachdenken brachte uns auch eine aktuelle, im Iran durchgeführten Studie: Hier wurde festgestellt, dass Frauen, die in ländlichen, ärmeren Gebieten leben, die Wechseljahre negativer empfinden als Frauen in der Stadt. Die Forscher:innen hatten eigentlich das genaue Gegenteil vorausgesagt, da sie davon ausgingen, dass Städterinnen, die einer westlichen, jugendorientierten Kultur ausgesetzt sind, die Wechseljahre negativer wahrnehmen würden. Stattdessen stellten sie fest, dass die Land-Frauen, deren gesellschaftliche Bedeutung mit ihrer Fruchtbarkeit gleichgesetzt wird, mehr Probleme mit den Wechseljahren hatten.
Wenn wir also über die Enttabuisierung der Menopause sprechen, ist dies auch immer ein Kampf gegen veraltete, patriarchale Strukturen. Uns ist bei den Recherchen aufgefallen, dass in jedem genannten Kulturkreis von den Frauen mehr oder minder lautstark nach mehr Aufklärung, Anerkennung und medizinischer Expertise verlangt wird. Das Tabu scheint also keine Grenzen zu kennen.
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