Jetzt im Kino: Warum du "Meine Stunden mit Leo" nicht verpassen solltest
Sechs gute Gründe für den neuen Film mit Emma Thompson: Ein Hotelzimmer, eine Frau, ein Callboy, (nur) ein Orgasmus und ebenso viel Intimität wie Schauspielkunst.
Wir waren im Kino – und verließen es mit euphorischer Verzückung. Ältere Frauen sind im Film oft unterrepräsentiert. Als sexuell aktive Figuren sieht man sie noch seltener – und wenn, schrillt beim Publikum oft der Fremdschamalarm. Doch Regisseurin Sophie Hyde hat das mit Meine Stunden mit Leo auf allerbeste Weise geändert. Entstanden ist ein komisches und zugleich nachdenkliches Kammerstück über Sex, Lügen und Einsamkeit mit der großartigen Dame Emma Thompson in der Hauptrolle.
Der Inhalt? Nancy Stokes, verwitwete Religionslehrerin im Ruhestand, hat ein Problem, das es abzuarbeiten gilt – denn diese Frau hat stets einen ganz genauen Plan. Allerdings hatte sie auch noch nie guten Sex oder gar einen Orgasmus. Um das zu ändern, greift sie auf die Dienste von Leo Grande zurück, einem jungen Sexarbeiter abseits des Stereotyps. Bald finden die beiden Gefallen aneinander, was die Dynamik erheblich verändert und den Weg zur Selbstbestimmung ebnet. Und zwar für beide, die sich in einem Hotelzimmer regelmäßig treffen. Wir haben sechs gute Gründe für euch, dieses Meisterwerk auf keinen Fall zu verpassen. Denn Leo Grande geht tief unter die Haut.
1. Die Sternstunde der Emma Thompson
Sie legt ihr ganzes Können in die Rolle der Nancy Stokes: Als Schauspielerin, Komödiantin, Autorin und Regisseurin, als Frau jenseits der 60 mit Integrität und Courage. Sie spielt diese Rolle mit feinen gesellschaftspolitischen Untertönen, und sie scheut sich nicht, grundehrlich zu sein. In ihrem Gesicht ist Gefühl, Witz, Stolz und Verzweiflung zu lesen. Wir hätten uns dieser Darbietung noch stundenlang ergötzen können, ohne uns eine Sekunde zu langweilen.
2. Die Meisterung der Menopause
Ich preise dich bei meinen Freundinnen an, sagt Nancy Stokes bei ihrem letzten Treffen zu Leo: Ich nenne dich Meister der Menopause. Das werde ich auf meine Visitenkarte schreiben, gibt er lächelnd zurück. Ja, auch die Enttabuisierung der Wechseljahre findet in diesem Film ihren Platz – nebst dem Recht auf weibliche Lust, und zwar in jedem Alter. Und was meint Emma Thompson privat zur Post-Menopause: Keine weiteren Perioden: Erledigt! Wechseljahre vorbei: Hurra! Kinder erwachsen: Tschüss! Die Jugend im Alter, sozusagen. Ich würde sagen, es ist die beste Zeit von allen.
3. Die Entdeckung des Daryl McCormack
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Der 29-jährige Newcomer aus Irland Daryl McCormack spielt die männliche Hauptrolle und geht dabei nicht unter – ganz im Gegenteil. Seine schauspielerische Leistung ist bemerkenswert, sein Callboy mit Niveau und Emotion erhebt sich über jedes Klischee. Ein Gegenbild zur toxischen Männlichkeit. Und verdammt noch mal, ist der schön! Diese Haut, diese Augen, diese Stimme. Nennt uns ruhig oberflächlich. Doch keine Sorge: McCormack ist mehr als ein ansehnlicher Körper – von ihm wird man noch viel hören.
4. Der Humor
Der Film lebt von den feinhumorigen Dialogen zwischen den beiden Hauptcharakteren, das brillante Buch dazu stammt von der britischen Komikerin und Autorin Katy Brand. Staubtrocken bis saftig-sexuell – da ist alles an Pointen dabei, die Herz und Hirn begehren. So man es liebt, wenn der ganze Kinosaal lacht, ist man in diesem Film genau richtig. Spätestens wenn Nancy ihre berühmte Liste präsentiert, brechen alle Dämme: Punkt 1: Ich mache Oralsex bei dir. Punkt 2: Du machst Oralsex bei mir. Punkt 3: Wir machen die Stellung 69, wenn man das heute noch so nennt, keine Ahnung.
5. Die Zärtlichkeit
Nicht nur der Witz, auch die Wahrhaftigkeit von Leo Grande begeistert. Gegen Ende lässt die emotionale Last die erotische Zweisamkeit jäh in sich zusammenbrechen. Leo und Nancy laborieren an seelischen Wunden: Er leidet unter der Entfremdung seiner Familie, sie unter ihrem Kontrollwahn. Erst als beide nicht nur ihre Klamotten, sondern auch ihre Masken fallen lassen, finden sie Erlösung. Miteinander und ganz individuell.
6. Die Nacktheit
Und am Schluss steht sie vor dem Spiegel. Unverhüllt. Man sieht, dass dieser Körper gelebt hat. Man sieht den Körper einer 62-jährigen Frau. Das haut einen um, das ist man nicht gewöhnt. Und trotzdem ist die letzte Szene von Leo Grande nicht mit dem Holzhammer, sondern mit besonders feiner Klinge der Filmkunst geschliffen. Wenn in Emma Thompsons Gesicht die ewige Selbstkritik verschwindet und einer zärtlichen Dankbarkeit weicht, dann bewegt die Darbietung tief. Es ist eine große Herausforderung, mit 62 Jahren nackt vor der Kamera zu stehen. In der heutigen Welt sind wir darauf getrimmt, dass wir nur bearbeitete Körper auf der Leinwand oder dem Bildschirm sehen – sonst ist es für unsere Augen nicht akzeptabel. Wir sind den Anblick von richtigen Körpern nicht gewohnt, so die Hauptdarstellerin. Danke für deinen Mut, Emma!
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