Ü50 Aktfotografie: "Ich will andere Frauen, aber auch mich befreien.
Unverblümt und unverhüllt: Mit starken Bildern sorgt eine Fotografin für Aufsehen. Clélia Odette weiß, dass nur Sichtbarkeit das Älterwerden der Frau enttabuisiert.
Clélia Odette ist eine außergewöhnliche junge Frau und überzeugte Feministin. Sie studierte Psychologie in Lyon und Dokumentarfotografie in Brüssel, eine vielversprechende Kombination – auch eine ideale Vorbereitung für ihr Dauerprojekt Belles Mômes. Belle bedeutet dabei Schöne, aber auch Stief wie in Stiefmutter oder Schwester. Und Môme? Kind oder Knirps - so wurden die Kleinen früher in Frankreich genannt. Die schönen Kinder werden teilweise nackt, aber nicht sexualisiert gezeigt – sondern ehrlich, persönlich und sehr intensiv.
Mit Aktfotografie in Schwarzweiß will Clélia Odette das Älterwerden enttabuisieren und fotografiert saher ausschließlich Frauen ab 50. Konkrete Angaben zum Alter ihrer Modelle möchte die Künstlerin aus nachvollziehbaren Gründen nicht machen – eine Zahl würde die Wucht ihrer Bilder nur schmälern. Ob beruflich oder privat – ich glaube an die Kraft von Bildern und den damit verbundenen Gewöhnungsprozess, ältere Körper als etwas Selbstverständliches zu betrachten. Je mehr Reichweite meine Fotografien haben, desto normaler wird, was völlig normal ist, sein muss – dazu sind soziale Medien ideal, denn hier wird üblicherweise die absolute Alterlosigkeit gefeiert, so Odette im Interview mit wechselweise.net.
Zu ihrer Motivation ergänzt sie: Je älter eine Frau ist, desto unsichtbarer wird sie in der Gesellschaft – ob in Film und Fernsehen, in der Werbung oder der Musikindustrie. Das will ich ändern. Zum Teil hat das Projekt auch für mich therapeutischen Nutzen. Immer wieder ertappe ich mich dabei, dass ich mich der indoktrinierte Jugendkult einholt und ich an mir zweifle – obwohl ich erst 25 bin. Deswegen fotografiere ich weiter. Ich will nicht nur andere, sondern auch mich befreien.
Ihre Muse wurde zur Freundin: Im Kopf sind wir gleich alt.
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Ihre Models – mittlerweile sind es fast 60 Frauen aus aller Welt – findet Odette im Netz, im Bekanntenkreis, auf Reisen oder durch reinen Zufall. Anfangs war es schwierig, viele hatten Berührungsängste, waren zu schüchtern oder dachten, dass es um rein erotisch gemeinte Bilder handelt. Aber mit den ersten Publikationen stieg das Interesse rasch – heute werde ich aktiv angeschrieben.
Und manchmal wird sogar mehr aus einer Foto-Session, die meisten in den eigenen vier Wänden der Models stattfindet mehr – nämlich Freundschaft: Sylviane war einer der ersten, die ich für Belles Mômes kontaktierte, heute nenne ich sie meine Muse und Freundin. Ich habe sie auf Instagram angeschrieben, weil ich sie unglaublich schön fand auf eine fast kindliche und zugleich toughe Weise. Dann haben wir uns vor zweieinhalb Jahren in Paris getroffen und es hat sofort gefunkt. Sie ist Autorin, war aber auch Französisch-Lehrerin in Haiti. Mit dem Modeln hat sie erst mit 60 begonnen, da wurde sie in London auf der Straße angesprochen. Ihre Energie ist einfach umwerfend. Auch wenn uns 40 Jahre trennen, im Kopf sind wir gleich alt, erzählt Odette.
Clélia Odette: Ich will jede Falte, jede Facette zeigen!
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Wer aber glaubt, die Fotografin sei auf der Suche nach professioneller Perfektion, irrt. Ich fotografiere alle Frauen, mir ist egal, was für einen Körper, was für eine Haut sie haben. Ich fotografiere Frauen, bei denen ich nicht weiß, wie sie aussehen, bevor ich vor ihrer Haustür stehe. Ich will jede Facette zeigen, ich will wahre Diversität festhalten. Manche tragen nichts, manche Dessous, manche sind angezogen. Und ich suche weiterhin Frauen über 50 bis open end, egal woher sie kommen, egal welche Farbe ihre Haut hat, egal wie sie aussehen oder was sie wiegen, was sie arbeiten oder welche Werte sie definieren. Bitte meldet euch bei mir!
Model Christina präsentierte sich sofort wie Gott sie schuf
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Liebevoll erzählt Odette von ihren Models, wie der selbstbewussten Elsa, Tochter des ermordeten Charlie Hebdo-Satirikers Georges Wolinski oder von Deva, einer Sexualtherapeutin, die mit ihr am Set offen über Libidoverlust und Scheidentrockenheit sprach. Beeindruckend fand Odette auch die Offenheit von Christina aus Italien: Wir hatten uns bereits zwei Jahren davor auf Instagram geschrieben, aber dann beide darauf vergessen, weiter zu kommunizieren. Irgendwann saß ich dann in einem Café in Bologna und sehe diese coole Frau mit ihren langen, weißen Haaren, sie wirkte wie eine freigeistige Künstlerin, ein Blumenkind. Ich setze mich neben sie, spreche sie an – und sie erkennt mich tatsächlich wieder! Christina hat mich an der Hand genommen, meinen Espresso gezahlt und hat gesagt: 'Ich wohne direkt gegenüber – legen wir los.' Sie hat sich sofort ausgezogen und gesagt Come dio mi ha fatto - wie Gott mich geschaffen hat.
Silver-Influencerin Caroline Ida: Schluß mit der Angst vor dem Alter!
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Ebenso freigeistig und lässig bewegte sich Caroline Ida vor der Kamera, mittlerweile ist die sinnliche Französin ein Socialmedia-Star. Die Pro-Age-Aktivistin, Silver-Influecerin und Bloggerin erfreut sich einer riesigen Fangemeinde in ganz Europa. Und verriet Odette auch, was sie antreibt: Altern ist ein Teil des Lebens, wir müssen damit klarkommen. Doch stattdessen macht es der Gesellschaft Angst. In Frankreich etwa ist fast die Hälfte der volljährigen Frauen 50 Jahre und älter. Warum sehen wir uns nicht in den Medien? Wir existieren! Schönheit hat absolut nichts mit Alter zu tun, das muss uns allen klar sein!
Der erste Schritt in die Sichtbarkeit ist schwierig, der Lohn aber groß
Auch weitere Belles Mômes wie Martine, Victoria und Agnès, die in unserer Slideshow zu sehen sind, beeindruckten die Fotografin. Sie will weiterhin Frauen in der Lebensmitte dabei helfen kann, sich selbst und ihr Leben mit allen Sinnen zu genießen: Der erste Schritt in die Sichtbarkeit ist manchmal schwierig – aber der Lohn dafür ist Glück, Freiheit und gegenseitige Bereicherung.
Mehr über Celine Odette findet ihr auf Instagram oder hier. Im kommenden Jahr wird ihr Foto-Projekt als Bildband erscheinen.
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