Susan Sontag: Über weibliches Altern, Schönheit & Sexualität
Essay-Band: Ein unverzichtbarer Beitrag zu den aktuellen Diskursen über Weiblichkeit, Wechsel und Feminismus ist nun auf Deutsch erschienen. Dringende Leseempfehlung!
Diese Frau verdient die Bezeichnung Ikone: Susan Sontag, 1933 in New York geboren und 2004 dort gestorben, war Schriftstellerin (sie erhielt u. a. den National Book Award und den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, Kritikerin, Regisseurin und eine der wichtigsten Denkerinnen des letzten Jahrhunderts. Die leidenschaftliche Menschenrechtsaktivistin beschrieb kulturelle Phänomene, immer ihrer Zeit voraus, immer intensiv und erfahrungshungrig. Sie faszinierte sowohl durch ihren scharfen Geist als auch durch ihre außergewöhnliche Schönheit und: ihre sexuelle Offenheit. Die berühmte US-Fotografin Annie Leibovitz war ihre letzte Partnerin, eine legendäre Verbindung: Immerhin war Sontag, die meistfotografierte Intellektuelle des 20. Jahrhunderts.
Was, wenn eine Frau altert?
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Nun sind ihre weisen Worte zu den ästhetischen, politischen und ökonomischen Aspekten des Frauseins auf Deutsch erschienen – und wir können das Buch nicht aus der Hand legen! In Über Frauen (Hanser Verlag) schreibt Sontag über Gleichheit, weibliches Altern, Schönheit, Sexualität und Macht und zeigt sich als Visionärin im Kampf um echte Gleichberechtigung. Solange sich nicht ändert, wer Macht hat und was Macht ist, gibt es keine Befreiung, sondern nur Beschwichtigung, konstatiert sie.
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Im ihrem Essay Zweierlei Maß: Altern ist nicht gleich Altern geht Sonntag auch auf die Crux der Wechseljahre ein: Wirtschaftlich benachteiligte Frauen in unserer Gesellschaft begegnen dem Älterwerden fatalistischer, sie können es sich schlicht nicht leisten, den kosmetischen Kampf gegen das Alter so lange und so hartnäckig zu führen wie die Bessergestellten. Dass gerade diejenigen Frauen, die sich ihr jugendliches Aussehen am längsten bewahren können – weil sie ein entspanntes, wohlbehütetes Leben führen, sich gesund ernähren, nicht an der medizinischen Versorgung sparen müssen und wenige oder gar keine Kinder haben –, das Älterwerden als besonders niederschmetternd empfinden, ist der beste Beweis dafür, dass es sich um ein eingebildetes Problem handelt.
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Das Altern macht sich weit mehr als verinnerlichter gesellschaftlicher Maßstab, denn als tatsächliche biologische Gegebenheit bemerkbar. Viel weitreichender als das krasse Verlustgefühl bei Eintritt der Menopause – der im Zuge der steigenden Lebenserwartung immer später erfolgt – sind die depressiven Zustände angesichts des Älterwerdens, die gar keinen konkreten Auslöser im Leben einer Frau benötigen, sondern die Folge einer Art fixer Idee sind, die ihren Ursprung in den gesellschaftlichen Verhältnissen hat – in den Beschränkungen nämlich, die einer Frau in unserer Gesellschaft hinsichtlich der freien Gestaltung ihres Selbstbildes auferlegt werden.
Empörte Erkenntnis: Älterwerden mit zweierlei Maß
Sonntag weiter: Der Körper einer alten Frau gilt im Gegensatz zu dem eines alten Mannes grundsätzlich als etwas, das nicht mehr gezeigt, dargeboten, enthüllt werden darf. Am ehesten darf er sich kostümiert zeigen. Aber selbst dann erzeugt er noch Unbehagen, allein durch die Vorstellung, was man zu sehen bekäme, wenn sie die Hüllen, die Maske fallen ließe.
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Und auch diese Zeilen treffen bis ins Mark: Geschmacksregeln setzen Machtstrukturen durch. Der Ekel vor dem weiblichen Altern ist der wirkmächtigste einer ganzen Reihe von Unterdrückungsmechanismen, die Frauen in ihre Schranken weisen. Nichts demonstriert die Verwundbarkeit der Frauen eindrücklicher als die Pein, Verwirrung und Mutlosigkeit, die sie angesichts des Älterwerdens erleben. Es ist zu hoffen, dass der von einzelnen Frauen für das gesamte weibliche Geschlecht geführte Kampf darum, als vollwertige Menschen – statt nur als Frauen – behandelt zu werden (und sich selbst als solche zu behandeln), bei den übrigen Frauen bald die empörte Erkenntnis wecken wird, dass hinsichtlich des Älterwerdens mit zweierlei Maß gemessen wird und sie deshalb so leiden.
Unser Fazit: WOW – mit nachhaltigem Gänsehauteffekt! Über Frauen wehrt sich gegen jede Form von Beschwichtigung und ist in seinen Beobachtungen und Forderungen aktueller denn je. Beim heutigen Lesen kann man nur staunen über deren ihrer Zeit vorauseilendes Genie, schreibt der The New Yorker über Sontags Buch. Wir schließen uns vollinhaltlich an.
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