Buchtipp: Zwischenzeiten. Vom Verstehen der Wechseljahre.
Wellness für die Seele: Die britische Autorin Marina Benjamin widmet sich der Kulturgeschichte des Älterwerdens und rechnet mit der Feel-Good-Gesellschaft ab.
Die Umbrüche, die die Wechseljahre mit sich bringen, sind mindestens so einschneidend wie die Pubertät. Dennoch sprechen die meisten Frauen untereinander wenig über dieses Thema, öffentlich findet ebenso selten offener Diskurs statt. Höchste Zeit für ein Buch, das Frauen jeden Alters wertvolle Ein- und Aussichten verschafft – sehr persönlich, kulturhistorisch versiert und literarisch ansprechend.
Kein klassischer Ratgeber
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Zwischenzeiten (Arche Verlag, 22 Euro) von Marina Benjamin ist kein klassischer Ratgeber, Ausgangspunkt der Erzählung ist ihr eigener Körper, mit dem sie die vielen Veränderungen in ihrem Leben zu fassen versucht. Wir unterstellen unserem Leben eine gewisse Kontinuität, die wir selten in Frage stellen. Natürlich wissen wir, dass Menschen altern. Aber wir beginnen das Altern erst ernst zu nehmen, wenn wir es selbst tun, so die Autorin.
Schmerz wird Freude
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Der Inhalt, zusammengefasst: Kurz vor ihrem 50. Lebensjahr erfährt Benjamin, was es bedeutet, sich unvorbereitet in der Menopause wiederzufinden. Sie berichtet von ihren Gefühlen, vom Austritt aus vorherigen Rhythmen und Rollen wie auch von Verlusten, Herausforderungen und Möglichkeiten, die das Älterwerden mit sich bringt. Um ihm mit Zufriedenheit und Selbstbewusstsein begegnen zu können, schöpft sie Inspiration aus Literatur, Wissenschaft, Philosophie, Medizin und den eigenen Erfahrungen.
Auf diese Weise erzählt sie eine Kulturgeschichte des Älterwerdens, enttabuisiert das Sprechen über körperliche und geistige Veränderungen und regt gleichzeitig den offenen Austausch über den Eintritt und Ablauf natürlicher Alterungsprozesse an. Gleich zu Beginn zitiert sie dazu auch die französische Autorin Colette: Befasse dich gründlich mit allem, was dir Freude macht, und noch gründlicher mit allem, was dir Schmerz bereitet. Autsch.
(K)eine Wellness-Lektüre
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Doch dieses Zitat klingt nur beim ersten Lesen erschreckend, denn hinter der Erkenntnis lauern ungeahnte Chancen - und schließlich findet die Autorin zu Freude und Lebenslust zurück, allerdings abseits der gängigen Erfinde Dich Neu-Maxime.
Als sie wegen eines Sturzes ans Haus gefesselt ist, versucht sie trotzdem Trost in Wellness-Lektüre zu finden – und scheitert: Ein seltsames Genre, eine Gattung, in der Selbsthilfe auf Medizin auf Spiritualität trifft. Wie uns die Altmeister der Wellness verkünden, sind ein gesunder Geist und Körper für alle zu haben, aber nur durch harte Arbeit und die richtige Einstellung, zu deren Hauptmerkmalen die Entschlossenheit gehört, alles Negative ins Positive umzukehren."
Geheime Botschaften
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"Man braucht die Leiden, Wehwehchen und Unzulänglichkeiten nur genau genug unter die Lupe zu nehmen, und man erkennt die in Geheimschrift verfasste Botschaft. Schmerzen die Knochen, dann liegt es daran, dass man eine emotionale Bürde mit sich herumschleppt, die einen niederdrückt, die man ablegen, von der man sich befreien muss. Kann man nicht schlafen, ist das ein Signal, dass man die wachen Stunden anders nutzen muss.
Und weiter: Dabei weigere ich mich gar nicht, daran zu glauben, dass jenseits dieser Hürde bessere Zeiten warten. Was ich jedoch nicht akzeptiere ist die Vorstellung, dass es lediglich eine angriffslustige Grundhaltung braucht, um die Stürme der Lebensmitte zu meistern. Genauso wenig lasse ich mir verkaufen, dass sich unser vertracktes Leben in einem hübsch ordentlich strukturierten Zwölf-Schritte-Plan zurechtzurren lässt.
Zwischenzeiten ist übrigens nicht nur ein Tipp für die Generation Ü50, sondern – so Benjamin – auch die Einführung jüngerer Frauen in das Geschäft des Älterwerdens.
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