Und? Wie woke bist du?
Ich plädiere für mehr Menschlichkeit – auch auf die Gefahr hin, unwoke zu sein.
Ich weiß gar nicht mehr, was ich sagen darf und was nicht meinten vor Kurzem zwei liebe Freunde ganz unabhängig voneinander. Der eine Modedesigner, die andere Fotografin – also beide in der ach so offenen Fashion-Industrie beheimatet und von alteingesessenen Klischees in etwa so weit entfernt wie meine Pudeldame Trudy es gerne von jeglichem Wasser wäre.
Das hasst sie nämlich, weicht jeder Lacke aus, ist bei Regen nicht aus dem Haus zu bringen und baden ist so ziemlich das Schlimmste ever. Wobei, jetzt bin ich kurz vom Thema abgekommen, wir sind bei meinen zwei Fashionistas.
Die Fashion-Szene steht nicht mehr lange
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Der eine hat für die Präsentation seiner Kollektion ein Model mit Namen Tobias gebucht und ihn mit he angesprochen. Worauf dieser den Rest des Tages pissed war, um abends klarzustellen, dass er it ist.
Die Fotografin wiederum – eine gastfreundliche, offene, interessierte und weit gereiste Person – hatte im Rahmen eines Shootings eine Riesenfreude mit einem dunkelhäutigen Model. Neugierig ob der Wurzeln der Schönheit wollte sie wissen, woher sie kommt. Paris und dazu für den Rest des Tages alle Zickereien, die ein Model so auf Lager hat, waren die Antwort.
So schnell ist man unwoke
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Im Abspann haben sich beide von ihren sehr, sehr, sehr jungen Assistenten eine Standpauke abholen dürfen. Beide hätten sich sowas von nicht woke verhalten, wurde ihnen um die Ohren geworfen. Beider Verhalten war ein absolutes No-Go, sowas sagt und fragt man heutzutage ganz einfach nicht mehr. Und aus.
Woke zu sein bedeutet übrigens, ein waches Auge und Bewusstsein dafür zu haben, Rassismus und damit einhergehende soziale Ungerechtigkeit zu erkennen und diese auch aufzuzeigen. So viel zum Ursprung des Wortes aus dem afroamerikanischen Englisch der 1930er Jahre, den ich ergoogelt habe. Ich bin auch neugierig.
Woke muss man heute in allen Richtungen sein – was ich per se nicht schlecht finde. Es ist immer gut, Klischees und über Generationen weitergegebene Sichtweisen und Erfahrungen infrage zu stellen und von einer anderen, neuen Seite zu beleuchten.
Genug ist genug
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Wie bei allem, ist es jedoch auch beim Woke-sein wichtig, nicht übers Ziel hinauszuschießen. Ich weiß, dass es schrecklich mühsam ist, sich immer wieder zu erklären. Meine Oma war Griechin und jedes Mal, wenn ich das klarstellte, kam: Ah, daher die schwarzen Augen und Haare!.
Wahrscheinlich erklärten sich meinem Gegenüber so auch mein dunkler Oberlippenflaum und die Frida Kahlo-Braue, die ich als Jugendliche – nicht mit Stolz – trug. Aber das hat so explizit niemand ausgesprochen. Ausgenommen die Coolen vom Eislaufplatz, die mir eine Rasur nahelegten. Angehimmelt habe ich sie danach übrigens nicht mehr.
Reden wir doch darüber
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Genug aber jetzt von mir. Die Tage meiner beiden Freunde wären besser verlaufen, wenn Tobias sein It-Feeling von Anfang an klargestellt hätte. Und dem Model wäre auch kein Zacken aus der Krone gefallen, zu verraten, woher denn ihre Vorfahren sind und dass sie die Frage per se als unangenehm empfindet. Beides freundlich und bestimmt, denn auch ihnen wurde kein schroffes Verhalten entgegengebracht.
Wäre die Welt nicht um ein Stück weit besser, würden wir uns alle einfach menschlich verhalten?
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