Endlich endlos.
Blick zurück, Blick nach vorne: In ihrer Neujahrskolumne preist Janina Lebiszczak den Prozess und nicht den Moment. Und lässt sich nicht von einem Datum terrorisieren.
Na, fiebert ihr schon dem neuen Jahr entgegen? Frisch und unschuldig liegt es vor uns und wartet darauf, mit Abenteuern und positiven Erlebnissen gefüllt zu werden. 2022 war hart, jedenfalls aus der globalen Vogelperspektive betrachtet. In die Wunden der Pandemie streute der Krieg sein Salz. Die demokratischen Gesellschaften stehen unter Druck durch die Rückkehr der Autokraten (muss man nicht mal gendern) und der Extremisten, die Wellen von Angst, Lügen und Hoffnungslosigkeit erzeugen. Dazu kommen soziale Ungleichheit, der galoppierende Klimawandel und massive Teuerungswellen. Die Welt ist in Unordnung geraten und noch fehlt es an griffigen Konzepten und Lösungen. Zeitenwende, so nennen es manche. Paradigmenwechsel andere.
Frei sein lernen – und andere befreien.
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Trotzdem hat 2022 mir viel Freude gebracht, auch wenn sich kein großer Urlaub am Palmenstrand ausging, trotz vieler Herausforderungen, ordentlich Stress und so manchem schmerzlichen Abschied. So verstarb etwa auch jenes Magazin, in dessen Redaktion ich Wechselweise-Gründerin Veronika Pelikan zum ersten Mal traf. Sie war Chefredakteurin der WIENERIN, ich war jung und wild und talentiert – doch fehlten mir die Tools, diese Gaben in ein ordentliches Gefäß zu gießen. Damals lernte ich es. Ich lernte es Trend zu setzen und ihnen nicht hinterher zu hecheln. Ich lernte Feminismus, der nicht ausgrenzt, ich lernte Diversity bevor es Schlagwort wurde. Ich lernte es meine Liebe zum Leben und zum Menschen zum Beruf zu machen. Wenn du frei bist, dann befreist du andere. Damals war ich 27, heute bin ich 47. Und erneut darf ich mit Veronika und den anderen großartigen Kolleginnen von Wechselweise.net diese Werte publizieren.
Dem Älter werden eine Krone aufsetzen.
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Seitdem wir im Oktober 2021 gegründet haben, besteht mein berufliches Schaffen wieder vermehrt aus zwischenmenschlicher Interaktion. Frauen und Männer erzählen mir, wie sie mit den Herausforderungen des Älterwerdens umgehen, offen, mit sich und der Welt schonungslos. Ich will sie stolz machen. Ich möchte dem Älterwerden die Krone aufsetzen, ich möchte dem Heranreifen – trotz aller Zipperleins und so mancher Falte – huldigen. Denn je länger ich lebe, desto größer wird der Schatz an Erinnerungen und Erfahrungen, die mich zu dem machen, was ich heute: Gelassen. Glücklich. Dankbar.
Je mehr Erinnerungen wir haben – so heißt es – desto stärker müssen wir sein. Ich glaube hingegen, dass das Leben in den Jahren zählt, und nicht die Jahre des Lebens. Alter – das ist tatsächlich nur eine Zahl, und an Zahlen war ich nie interessiert, was auch der Blick auf meinen Kontostand beweist. Aber an Worten und das Leben mit ebendiesen zu füllen, daran war ich immer interessiert. Mit 27. Mit 47. Ich erlaube mir, endlos zu werden. Denn wer sich den Blick auf das Gute, das Schöne, das grenzenlos Freie gönnt, der altert nicht.
Wechselweise: Wir sind gekommen, um zu bleiben.
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Vielleicht kann ich ja deshalb Silvester nicht ausstehen. Wer hat uns bitte schön eingeredet, daran zu glauben, dass es von einem Jahr zum anderen eine Auflösung der Kontinuität gäbe und dass neue Geschichte begänne? Man entwickelt Vorsätze und bereut Fehler, erfindet sich neu, schreibt To-Do-Listen und stellt Wünsche ans Universum. Ich verweigere die Annahme, dass der Mensch ein Unternehmen ist – samt Jahresabschluss, Bilanz und Budget. Selbst Vernunftbegabte verfluchen gern ein ganzes Jahr und fiebern dem Moment hin, an dem sich die letzte Zahl einer Datumsangabe ändert. Es folgt, was folgen muss: Die große Abrechnung.
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Ich will lieber mit mir selbst abrechnen. Jeder neue Tag ist eine neue Chance, ganz ohne Hurra im Kollektiv. An jedem Tag kann man ?Nein? sagen zu allem, was die Luft zum Atmen abdreht. An jedem Tag kann man mehr werden, als man gedacht hat. Ich preise den Prozess, nicht den Moment.
Deshalb: Wechselweise.net, die Plattform der Prozess-Huldigung. Auch 2023 wollen wir enttabuisieren, vernetzen, gemeinsam stärker, mutiger und gesünder werden. Im Namen der ganzen Redaktion und aller, die uns so tatkräftig bei unserem Vorhaben unterstützen, wünsche ich euch den besten Rutsch und eine sanfte Landung. Wir jedenfalls sind gekommen, um zu bleiben.
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