Das Ende der Körperkriege: Bleiben wir neutral!
Zu dünn, zu dick, zu schlaff, zu trainiert. Shaming-Equality liegt nebst Body Positivity im Trend. Körper zu bewerten, ist verlockend. Befreit euch davon.
Ich fühle mich umzingelt – und zwar nicht nur im Freibad oder an den Stränden der Donau. In der digitalen Welt von meist jüngeren, aber auch älteren Frauen, die mir stolz ihre üppigen Bäuche, Pos und Hüften entgegenhalten – weil: Body Positivity. Und die hat im Sommer Hochsaison. In der realen Welt werde ich vor allem akustisch bedrängt. Neben den abfälligen Kommentaren über die Körperformen anderer Menschen höre ich in der Freiluftsaison auch so manche, die eigentlich nett gemeint sind. Weil die Gratulation zum Gewichtsverlust bei Frauen immer noch so etwas wie das goldene Kalb unter den Komplimenten ist – nebst dem zweifelhaftem Für dein Alter siehst du noch toll aus.
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Und dann kämpfen in mir zwei Seiten, nein, sogar drei. Das Mädchen, das sich darüber freut, dass es gefällt. Die Frau, die das zum Kotzen findet. Und die Journalistin, die weiß, dass nicht gerade jedes Pfund eines zu viel zu viel ist. Aber in einem gewissen Alter führt gröberes Übergewicht – vor allem wenn man außerdem unsportlich ist – zu Problemen mit der Beweglichkeit, der Gesundheit und daher auch zu weniger Wohlbefinden.
Endlich dürfen wir uns alle mies fühlen
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Vielleicht bin ich daher kein Fangirl der Body Positivity-Bewegung. Schon klar: Es ist wichtig und gut, dass unsere Gesellschaft Körperformen abseits einem zumeist unerreichbaren, unrealistischen Supermodel-Ideal akzeptiert. Ich denke nur, dass auch eine Frau, die sich in ihrem Körper unwohl fühlt, ein Recht darauf hat, das zu ändern oder ändern zu wollen. Nicht nur jeder Körper ist anders, auch der individuelle Wohlfühlfaktor. Es ist nichts falsch daran, uns selbst zu lieben, wenn wir uns damit konfrontieren, was diese "Liebe" bedeutet. Ich wehre mich gegen die Vorstellung, dass wir in der Lage sein sollten, einen ständigen Strom von Glücksgefühlen zu empfinden oder dass wir jedes Grübchen, jedes Wackeln, jeden Zentimeter freudig umarmen müssen.
Neutrale Freiheit: Verkneif dir den Kommentar
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Und jetzt? Haben wir die die Bredouille. Frauen werden nicht nur geschmäht, wenn sie im Freibad ihr Wamperl im Bikini präsentieren, sie werden auch geschmäht, wenn sie Sixpack oder schmale Hüften zeigen. Yeah. Das haben wir wirklich toll gemacht! Endlich kann sich jede Frau ausgrenzt und bewertet fühlen – Shaming-Equality liegt nebst Body Positivity total im Trend. Das einzige Gegengift? Körperneutralität.
Body Positivity ermutigt dich, dich immer schön zu fühlen und deinen Körper in jeder Größe zu lieben. Körperneutralität konzentriert sich mehr darauf, wie du dich fühlst, als darauf, wie du aussiehst.
Körperneutralität lädt uns dazu ein, uns selbst und andere zuerst als ganze Menschen zu verstehen und unser Werte-Konzept auch auf der Grundlage des inneren Selbst einer Person zu entwickeln. Sie hilft uns, die vielen Schichten komplexer der sozialen Konditionierung, die uns eintrichtert, was unterschiedliche Körperformen bedeuten, abzustreifen, damit wir die Wahrheit sehen können: Dass Schönheit, Schlankheit und Attraktivität angenehm sein können, aber nichts über den Charakter, die Persönlichkeit, den Lebensstil oder gar das Glück eines Menschen aussagen.
Die preisgekrönte Sau am Dorffest
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Was bedeutet das in der Praxis? Schlucks runter. Also den Kommentar. Egal, ob in der digitalen oder der realen Welt. Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan. Körper zu bewerten ist ein Instinkt – oder doch nur angelernt? Wurden wir vom Patriachat darauf konditioniert uns gegenseitig zu schwächen, indem wir uns permanent bekritteln? Oder steckt da einfach noch der Ur-Mensch in uns, dem Gesundheit – und daher Fruchtbarkeit – über alles geht?
So oder so: Ich finde es unangenehm, wenn mir das Kompliment gemacht wird, dass bei mir die Pfunde zu viel ja eh gut aussähen, dass an mir mehr dran ist – das sei soooo sexy. Ich fühl mich dann immer ein bisschen wie die preisgekrönte Sau am Dorffest. Schau lecker, da ist mehr dan.
Unlängst wurde ich aber Zeugin einer weitaus unangenehmeren Situation. Frau A zu B im Bad, offensichtlich entfernte Bekannte: Wow, so super, du hast ja ordentlich abgespeckt. Wie hast du das gemacht? Frau B: Ich habe Darmkrebs.
Grauslich, gell? Aber das ist der Preis dafür, wenn man sich gehen lässt. Nicht körperlich. Sondern menschlich. In diesem Sinne: einen schönen, heißen, neutralen, nackten, dünnen, dicken, jungen, alten und vor allem FREIEN Sommer euch allen!
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