Reizbar, ausgelaugt, lustlos – der Hormonumschwung während der Menopause kann die Psyche ziemlich in Mitleidenschaft ziehen. Durch zu wenig Aufklärung in dem Bereich haben betroffene Frauen oft Schwierigkeiten, mit der mentalen Belastung umzugehen oder die richtige Hilfe zu finden.
Die in Hamburg ansässige Pionierin Sandra Tschöpe (49) hat sich als erste psychologische Psychotherapeutin im DACH-Raum auf mentale Gesundheit in den Wechseljahren spezialisiert. In ihrer psychologischen Onlinepraxis MyMenoMind vermittelt sie notwendige Tools fürs Älterwerden und ein neues (Selbst-) Bild an Frauen 40+. Wir haben sie gefragt, was es mit der mentalen Belastung im Wechsel auf sich hat und was frau tun kann, um in dieser turbulenten Zeit besser für sich zu sorgen.
Welche Rolle spielen die Wechseljahre für die mentale Gesundheit von Frauen?
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Sandra Tschöpe: Offensichtlich spielen sie eine größere Rolle, als wir bislang angenommen haben. Stichwort 'Bikini Medizin', wo davon ausgegangen wird, dass der wesentliche Unterschied zwischen Männern und Frauen bei Symptomatik und Behandlung nur im Bikinibereich liegt - also im Brust- und Genitalbereich. Louann Brizendine hat das Buch Gehirn-Power Wechseljahre geschrieben hat. Die hat gesagt: "Die Hauptbühne der Wechseljahre ist das Gehirn." - also dort, wo die psychischen und kognitiven Prozesse ablaufen. Von daher ist die Rolle der Wechseljahre viel größer als nur Hitzewallungen und das Ausbleiben der Periode.
Gibt es Mythen oder Missverständnisse zum Thema Wechsel, die Sie gerne entkräften möchten?
Sandra Tschöpe: Dass die Wechseljahre nur das Ausbleiben der Periode und Hitzewallungen sind. Das ist der größte Mythos, finde ich. Und dass der Zeitraum einfach viel, viel länger ist, als wir angenommen haben. Wir Frauen dachten: 'Um die 50 schwitzt man einmal und dann bleibt die Periode aus.' Aber das kann schon viele Jahre vorher zum Beispiel mit Gelenkschmerzen anfangen. Und ab da beginnt dann oft eine Odyssee aus Arztbesuchen.
Mit welchen Problemen kommen ihre Patientinnen zu ihnen?
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Sandra Tschöpe: Die Haupterkrankungen sind Depressionen und Ängste, wie bei der Allgemeinbevölkerung auch. Die meisten kommen mit Sätzen wie:
- 'Ich kenne mich gar nicht mehr.',
- 'Ich bin nicht mehr ich selbst.',
- 'Ich bin immer so traurig' oder
- 'Ich bin so niedergedrückt und reizbar.'. Reizbarkeit geht tatsächlich oft mit Depressionen einher. Oder:
- 'Ich bin viel ängstlicher als sonst.',
- 'Ich mache mir um alles Gedanken und kann gar nicht mehr abschalten.'
Das sind so die Themen, um die es im Bereich der depressiven Episoden oder Angsterkrankungen geht. Panikattacken kommen auch vor, ziemlich häufig sogar. Auch mit Zwängen habe ich in letzter Zeit öfter zu tun. Das hängt meist mit der biografischen Vorgeschichte zusammen, die waren dann meist schonmal in jüngeren Jahren ein Thema.
Mittlerweile geht man davon aus, dass ein Teil der Frauen, die unter den Wechsel-Symptomen und -Beschwerden leiden, eine Hormonsensitivität haben - sie also ein bisschen sensibler auf hormonelle Umschwünge reagieren. Auch hier kann man das meist schon in der biografischen Vorgeschichte erkennen: Bei hormonellen Umschwüngen in der Vergangenheit (wie Schwangerschaft oder Geburt) finde ich oft Hinweise darauf, dass auch da schon einiges los gewesen ist.
Es gibt noch ein Thema, mit dem ich sehr häufig zu tun habe - Schlafstörungen . Eine sogenannte 'nicht organische Insomnie' ist dadurch gekennzeichnet, dass die Schlafqualität vermindert und die Schlafdauer zu kurz ist. Das kann einzeln auftreten, aber oft auch zusammen mit anderen psychischen Beschwerden, wie Depressionen oder Ängsten. Das ist manchmal gar nicht so leicht auseinanderzuhalten. Aber auf jeden Fall sind Schlafstörungen in den Wechseljahren sehr, sehr häufig.
Welche Strategien empfehlen Sie, um selbst mit gedrückter Stimmung und Ängste im Wechsel umzugehen?
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Sandra Tschöpe: Zunächst mal die üblichen Verdächtigen, die man auch schon viel im Internet findet – also die ganzen Basistechniken. Wie darauf zu achten, dass wir ausreichend Schlaf bekommen. Was ich häufig mitbekomme, ist, dass Mütter erst sehr spät ins Bett gehen – gerade, wenn die Kinder noch kleiner sind. Denn oft wollen sie sich abends noch Zeit für sich nehmen, wenn die Kinder endlich schlafen. Dann wird das Schlafengehen hinausgezögert und noch ewig im Internet gescrollt oder Haushalt gemacht. So ist es dann schwierig, auf eine adäquate Schlafdauer zu kommen. Das Thema Schlafhygiene ist wichtig: Was ist dem Schlaf förderlich und was eher kontraproduktiv? Könnte man in der Mittagspause wenn möglich einen kleinen Powernap einbauen?
Außerdem lässt sich auch viel über regelmäßige Bewegung und die richtige Ernährung machen. Es gibt aktuell unzählige Diät-Trends - ausreichend und regelmäßig zu essen ist aber sehr wichtig, um Angsterkrankungen vorzubeugen. Denn wenn der Blutzuckerspiegel absinkt, steigt die Wahrscheinlichkeit, eine Angst- oder Panikattacke zu entwickeln - besonders in Kombination mit zu wenig Schlaf.
Oft haben wir gar nicht gelernt, gut zu uns zu sein oder die eigenen Bedürfnisse auch mal in den Vordergrund zu stellen. Um besser uns selbst zu sorgen, können wir mit einer Bestandsaufnahme vom Alltag beginnen: Wann und wie viel schlafe ich? Was und wie viel esse ich? Wie gleiche ich Stress aus? Wie siehts aus mit Koffein-/ Alkoholkonsum? Im nächsten Schritt können wir dann gezielt wichtige Bausteine wie Pausen oder ausreichend Schlaf in unseren Wochenplan einbauen.
Gibt es auch psychologische Tricks und Kniffs zum nachmachen?
Sandra Tschöpe: Zu den wichtigen Strategien zählt auch, darüber zu sprechen und sich eventuell Hilfe zu suchen. Da spielt Psychoedukation eine wichtige Rolle. Wenn eine neue Patientin zu mir kommt, sage ich immer: 'Ich möchte, dass sie Expertin für ihre Beschwerden/ Diagnose werden.' Mit Plattformen wie wechselweise.net, bestimmten Seiten auf Instagram oder Büchern über die Wechseljahre – da gibt es mittlerweile schon so viele - können sich Frauen informieren und selbst zu Expertinnen machen.
In den Wechseljahren hat man weniger Energie zur Verfügung - man ist nicht so belastbar, oft niedergeschlagen, zieht sich eher zurück. Dabei ist es wichtig, aktiv zu bleiben und Dinge zu unternehmen, natürlich immer mit Pausen. Es geht darum, sich die Freude ins Leben zu holen, die rosa Tüte im Leben zu füllen. In der Verhaltenspsychologie gibt es diese Grundannahme, dass die Grundstimmung eines Menschen davon abhängig ist, wie hoch seine Aktivitätsrate ist. Das heißt, wenn ich angenehme Dinge tue, die positive Konsequenzen für mich haben, verbessert sich meine Stimmung. Was wir als angenehm erleben ist dabei sehr individuell. Da gibt es keine One-Fits-All-Lösung, das hängt von den jeweiligen Bedürfnissen ab.
Dazu finde ich folgende Übung super: Nimm dir einen Zettel, male ein Fass darauf und beschrifte es mit 'Energie'. Dann schreibe auf eine Seite Dinge, die dir Energie geben, mit Pfeilen, die ins Fass hinein zeigen. Auf der anderen Seite listest du auf, was dir Energie nimmt – verdeutliche dies durch Pfeile, die aus dem Fass hinauszeigen. So eine kleine Veranschaulichung kann schon ganz viel bewusst machen – und sie regt zum Nachdenken an: Was kann ich ändern, wovon brauche ich mehr?
Gerade Frauen im Wechsel sollten ihren Organismus von Dauerstress und Leistungsdruck auf Ruhe und Entspannung umpolen. Das muss man ein bisschen trainieren, wie einen Muskel, indem man die für sich beste Lösung findet. Für die eine ist es Yoga, für die andere sind es Waldspaziergänge. Sich erlauben, auch mal zu entspannen, fühlt sich zu Beginn erst einmal komisch an – aber diese Momente der Ruhe können ganz viel Gutes bewirken.
Auch wichtig: Dankbarkeit. Sich auch nach einem anstrengenden Tag abends überlegen: 'Wofür bin ich heute dankbar?'. Das muss gar nix Großes sein: Zum Beispiel für den Kaffee, den man am Mittag genossen hat, oder für die Sonnenstrahlen, die einem beim Fahrradfahren auf die Nase schienen. Man auch wunderbar Partner:in und Kindern durch gegenseitige Interviews einbauen. Das wirkt sehr verbindend und nachweislich positiv auf die Grundstimmung.
Ab wann sollte man lieber zum Profi?
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Sandra Tschöpe: Wenn der Leidensdruck hoch ist. Also wenn man merkt, der Alltag ist eingeschränkt, die Arbeitsfähigkeit oder die sozialen Kontakte leiden darunter. Oder wenn man kaum mehr Freude empfindet - und natürlich sowieso bei Suizidgedanken. Dann bitte sofort Hilfe suchen. Generell gilt: Lieber früher als später zum Experten gehen. Zum Glück wurde in den letzten Jahren viel gegen das Stigma getan, wodurch sich Frauen eher trauen, aktiv Hilfe zu suchen.
Hast du positive Worte zum Abschluss?
Sandra Tschöpe: Einmal möchte ich Frauen mitteilen, dass sie auf jeden Fall über ihre Beschwerden reden sollten. Reden ist ganz, ganz wichtig. Vielleicht erstmal im Freundes- oder Familienkreis darüber sprechen, und sich trauen nach Unterstützung zu fragen. Auch ruhig mal die Telefonseelsorge (siehe unten) anrufen, wenn es gar nicht mehr geht. Und lass dich auf der Suche nach professioneller Hilfe nicht entmutigen! Es kann ein zäher Prozess sein - ähnlich wie bei den Gynäkolog:innen, wenn es um Hormonersatztherapie geht - da dann ruhig mehrere Praxen ansteuern, bis man sich gut aufgehoben fühlt.
Und als letztes: Mach dir bewusst, dass du da nicht durchmusst. Es gibt dieses Stigma, was den Wechseljahren anhängt: 'Da muss man durch, das ist ganz natürlich!'. Nach dem Motto 'Stellen sie sich nicht so an, das wird schon wieder!' Aber nur weil es eine normale Phase des Lebens ist, sollte man nicht stillschweigend zu leiden haben. Zu lange wurden Wechselbeschwerden kleingeredet. Da muss niemand durch, es gibt Hilfe! Es ist nur nicht immer leicht, die Richtige zu finden ... das wird aber durch die Awareness, die durch Social Media etc. geschaffen wird, langsam besser. Wir sind auf jeden Fall auf einem guten Weg, glaube ich.
Hilfsangebote:
Österreich:
Telefonseelsorge: 142
Der Beratungsservice des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen hilft kostenlos & anonym: 01/504 8000
helpline@psychologiehilft.at
Deutschland:
Telefonseelsorge: 0800 - 111 0 111 / 0800 - 111 0 222
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