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Sexualität & Beziehung

Unglücklich in der Beziehung: Bin ich emotional vom Partner abhängig?

Freiraum oder Gefängnis: Wir haben eine Beziehung- und Kommunikationsexpertin gefragt, wie man (wieder) mehr Eigenständigkeit in der Partnerschaft etablieren kann.

Die Lebensmitte ist von vielen, teilweise sehr intensiven Veränderungen geprägt – und zwar nicht ausschließlich hormoneller Natur. Mit den Wechseljahren bemerken viele Frauen, dass eine gewisse Zäsur nun unumgänglich ist. „Was und wer muss gehen, was und wer darf bleiben?“ – diese Fragen werden im Berufsalltag nun ebenso dringlich wie im Privatleben.  

Auch die Beziehung steht nun am Prüfstand. Ein Blick auf die Scheidungsraten im deutschsprachigen Raum bestätigt die gefühlte Wahrheit: Mitte, Ende 40 zerbrechen überdurchschnittlich viele Ehen. Und ebenso viele Frauen kämpfen in dieser Zeit darum, dass ihre oft langjährige und durchaus kostbare Beziehung hält – doch das kann sie nur, wenn die Wünsche nach mehr Eigenständigkeit und Freiheit innerhalb der Partnerschaft berücksichtigt werden.  

Mehr Freiheiten oder Angst vor dem Alleinsein? 

Beziehung- und Kommunikationsexpertin Anria Brandstätter kennt diese Wünsche aus ihrer Berufspraxis nur zu gut: „Manche Klientinnen, vor allem solche in Langzeitverbindungen, ahnen gar nicht, dass sie vom Partner auf eine gewisse Art und Weise emotional abhängig sind – und diese Abhängigkeit, die Angst vor dem Alleinesein, steht dem Beziehungsglück im Weg,“ so die Autorin und Sexologin: „In der Lebensmitte steigt der Wunsch nach Selbstverwirklichung, nach Entfaltung – denn immerhin möchte man die verbleibende Zeit so sinnvoll und glücklich gestalten wie möglich. Doch um gemeinsam zu wachsen etablieren, um die dazu notwendigen Schritte zu setzen, muss man sich erst mal selbst einem gewissen "Check-Up" unterziehen. Viele Frauen fühlen sich unglücklich – aber sie wissen nicht genau, warum. Daher ist nun Reflexion und das Hinterfragen der eigenen Muster und Glaubenssätze gefragt.“ Ihre besten Tipps und Wege aus der Überanpassungsfalle lest ihr hier.

Wege aus der Anpassungsfalle 

Wechselweise: Kann man sagen, dass Menschen, die unglücklich in einer Beziehung sind und trotzdem bleiben, emotional abhängig sind? 

Anria Brandstätter: Ob und warum eine Person in einer Beziehung unglücklich ist, ist sehr individuell. So wie jede Frau das (Un-)glücklichsein ein bisschen anders wahrnimmt, ist auch die Schmerzgrenze individuell. Während die eine direkt nach Ende der Verliebtheitsphase enttäuscht flüchtet, bleibt eine andere und sitzt das aus. 

Warum aber bleibt man in einer Beziehung, die nicht mehr „funktioniert“?  

Anria Brandstätter: Manchmal sind das sehr pragmatische Gründe, wie gemeinsame Kinder, dringende Wohnbedürfnisse oder finanzielle Abhängigkeiten. Manchmal hat man sich auch einfach mit dem Partner arrangiert, lebt recht gut nebeneinanderher und hat akzeptiert, dass das mehr Wohngemeinschaft als Partnerschaft ist. Solange das für alle Beteiligten in Ordnung ist, sollten auch wir darüber nicht urteilen. Wenn jedoch solche Gründe nicht vorliegen, und eigentlich auch gar nichts mehr in Ordnung ist, man stattdessen massiv unglücklich ist und trotzdem bleibt, dann kann tatsächlich eine emotionale Abhängigkeit vorliegen.  

Wie äußert sich eine solche emotionale Abhängigkeit? 

Anria Brandstätter: Emotional abhängige Menschen haben das tiefe Bedürfnis, geliebt zu werden, fühlen sich aber nie gut genug und haben eigentlich Angst, Liebe nicht zu verdienen. Sie haben häufig einen niedrigen Selbstwert sowie Verlust- oder Bindungsängste. 

Der Wunsch geliebt zu werden, ist doch ganz normal? 

Anria Brandstätter: Ja, absolut. Es ist sogar ein Grundbedürfnis wie Essen und Schlafen. Von Abhängigkeit sprechen wir dann erst, wenn jemand sein eigenes Leben nach dem Partner ausrichtet. Also wenn jemand das eigene Glück vom Gegenüber abhängig macht. Weil dann gibt man seine Freiheit und Selbstbestimmtheit auf.  

Wie erkennt man den Unterschied?  

Anria Brandstätter: Ein paar Beispiele: 

  • Stell dir vor, ihr seid zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Dein Partner will dann aber doch nicht mitkommen. Gehst du trotzdem hin oder bleibst du bei ihm?  
  • Du siehst beim Shoppen ein tolles Kleid, das aber eigentlich gar nicht dein Stil ist. Kaufst du es trotzdem oder grübelst du, was dein Mann und die Leute denken könnten?  
  • Ihr hattet einen üblen Streit. Bist du der Meinung „das wird schon wieder“, oder rast dein Herz vor Angst, ihn zu verlieren? 
  • Dein Partner ist übers Wochenende mit Freunden weggefahren. Du triffst dich in der Zeit zwar ebenfalls mit Freundinnen, aber eigentlich zählst du die Sekunden, bis er wieder da ist.  
  • Du bedienst dich im Urlaub genießerisch am Buffet und dein Mann reißt einen Witz darüber. Wie hart trifft dich das? Wie reagierst du? Isst du trotzdem mit Genuss weiter?   
  • Dein Partner lässt den Kommentar fallen, dass die neue (und unfassbar hübsche) Nachbarin „echt nett“ ist. Wie fühlst du dich? Wallen Panik und Eifersucht in dir auf? 

Diese Beispiele sind natürlich massiv verkürzt und plakativ, und es gibt immer viele Gründe, warum jemand in dem Moment so fühlt und handelt! Bitte hier nicht vorschnell urteilen. Meistens ist es dann auch die Summe der Dinge, die unsere Abhängigkeit sichtbar macht. 

Wenn eine Frau Anzeichen von Abhängigkeit zeigt, mit ihrer Rolle aber sonst sehr zufrieden ist, was dann?   

Anria Brandstätter: Wenn alle zufrieden sind, dann ist alles gut. Problematisch wird es erst, wenn diese Frau sich ständig dem Partner zuliebe anpasst und dabei gegen die eigenen Wünsche handelt: Wenn sie also das Kleid schon recht gerne gehabt hätte und es eigentlich auch schade findet, die Party zu verpassen. Denn dann gerät sie in einen inneren Konflikt. Wenn wir immer tun, was andere möchten, dann verleugnen wir uns selbst. Diese Art der Anpassung ist ein schleichender Verrat an uns selbst und kann zu vermehrten Spannungen in der Beziehung führen.  

Wie denken und fühlen überangepasste Frauen? 

Anria Brandstätter: Überanpassung führt dazu, dass man irgendwann nicht mehr weiß, wer man eigentlich selbst ist. Wenn du stattdessen Entscheidungen so triffst, dass andere sie gutheißen. Wenn du Angst hast, aufzufallen oder als kompliziert zu gelten. Wenn du dazu erzogen wurdest, höflich, lieb und nett zu sein und Konflikten lieber aus dem Weg gehst. Wenn du Probleme mit dem Alleinsein hast und zum Klammern neigst. Wenn Zurückweisung das schlimmste für dich ist. Wenn du dir immer wieder rückversichern lässt, dass du z.B. die beste Köchin, die schönste Frau oder liebevollste Mutter bist, weil du dich innen drinnen eigentlich gar nicht liebenswert oder wertvoll fühlst.  

Was macht man, wenn man all das nicht mehr sein will? Wie kommt man da raus?  

Anria Brandstätter: Bereits die Erkenntnis, dass man Überangepasst oder emotional abhängig ist, kann der erste, wesentliche Schritt sein. Ein weiterer, wichtiger Schritt ist, sich für sich selbst zu entscheiden. Frage dich, was du tun würdest, wenn alle um dich herum deine Entscheidungen bejubeln würden wie ein riesiges Cheerleader-Team. Sobald du weißt, was du tun WÜRDEST, kannst du langsam beginnen, kleine Grenzen zu setzen und ab und zu ein Nein zu formulieren oder nach deinen Wünschen zu handeln.  

Damit dir das leichter fällt, arbeite auch unbedingt an deinem Selbstwert. Denn unser Selbstwert ist unser mentales Immunsystem und wesentlich für deine Unabhängigkeit. Dafür gibt es großartige und einfach umsetzbare Übungen, die sehr hilfreich sind. Beraterinnen haben eine ganze Werkzeugkiste solcher Übungen bei der Hand und unterstützen dich gerne. Neben Selbstwertübungen sind auch Körperübungen sehr empfehlenswert, um Körper und Geist gut in Einklang zu bringen.  

Welche Körperübung wäre da denn beispielsweise sinnvoll?  

Anria Brandstätter: So einfach das auch klingen mag, aber verschiedene Atemübungen helfen tatsächlich sehr gut, das Nervensystem zu beruhigen und das Stresslevel zu senken. Gerade wenn wir beginnen, uns selbst (wieder) zu entdecken, Grenzen zu setzen und für uns einzustehen, brauchen wir Mut. Wenn wir allerdings flach, stoßweise und kurz atmen, bekommt der Körper das Signal, dass irgendetwas nicht stimmt. Er geht dann besonders bei vermeidenden Menschen automatisch in den Fluchtmodus über. Wenn wir dem Körper allerdings signalisieren wollen „alles ist gut“, beruhigen wir ihn, indem wir langsam und tief atmen.  


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