Neue wissenschaftlicher Erkenntnisse ermutigen Frauen in den Wechseljahren zunehmend, sich mit der Hormonersatztherapie (HRT) oder menopausalen Hormontherapie auseinanderzusetzen. Inzwischen gilt als gesichert, dass Frauen mit Wechselbeschwerden gesundheitlich von der Anwendung profitieren. Für Wechselweise.net beantwortet die prominente Schweizer Hormonexpertin Dr. Anna Raggi die wichtigsten Fragen rund um die menopausalen Hormontherapie – und ob das Altern ohne Hormone überhaupt noch zeitgemäß ist.
Wann empfehlen Sie, über eine Hormontherapie nachzudenken?
Dr. Raggi: Wenn eine Frau ab Mitte 40 im Rahmen der frauenärztlichen Jahreskontrolle in die Praxis kommt, dann frage ich sie gezielt nach Beschwerden, z.B. ob ihre Zyklen regelmäßig sind und ob sie an Schlafstörungen, Hitzewallungen oder Verstimmungen leidet. Gleichzeitig mache ich die Frauen darauf aufmerksam, dass diese Symptome auftreten können. Auch bei jüngeren Frauen denke ich an eine vorzeitige Menopause, wenn sie plötzlich über eine ausbleibende Periode oder Zyklusunregelmäßigkeiten klagen. Leiden die Frauen unter klimakterischen Beschwerden, dann bespreche ich mit ihnen die Möglichkeit einer Hormontherapie.
Was hat es mit dem window of opportunity auf sich?
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Dr. Raggi: Das window of opportunity bezeichnet jenes Zeitfenster, in dem die Hormontherapie begonnen werden sollte. Konkret ist es die Zeitspanne 10 Jahre nach der letzten Regelblutung, aber vor dem 60. Lebensjahr. Das ist meistens auch jener Zeitpunkt, zu dem die Frauen mit typischen Beschwerden in die Praxis kommen. Diese Zeitspanne ist auch deshalb günstig, weil bis dahin die Blutgefäße noch nicht unter dem zunehmenden Östrogenmangel gelitten haben, d.h., die Frauen haben, kurz gesagt, noch keine Arterienverkalkung entwickelt.
Manchmal kommen Frauen aber auch erst später, nach dem 60. Lebensjahr, weil sie zuerst keine Hormone nehmen wollten, aber nun doch stark unter ihren Beschwerden leiden. Dann ist der optimale Zeitpunkt schon überschritten. Das bedeutet aber nicht, dass diese Frauen später nicht mehr mit einer Hormontherapie beginnen können. Allerdings würde ich dann dazu raten, diese Behandlung vorsichtig mit einer niedrigen Dosierung zu starten, und bevorzugt auf ein Östrogenpräparat zurückgreifen, das auf die Haut aufgetragen wird.
Wie sollten Patientinnen über eine Hormontherapie aufgeklärt werden?
Dr. Raggi: Es ist wichtig, die Patientin darüber aufzuklären, dass eine Hormontherapie dann ärztlich empfohlen wird, wenn sie unter Beschwerden leidet und sich dadurch ihre Lebensqualität verschlechtert. Ich erkläre ihr die Vor- und möglichen Nachteile einer Hormongabe, wobei man mittlerweile sagen kann, dass die Vorteile die Nachteile überwiegen.
Welche Vorteile hat eine menopausale Hormontherapie?
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Dr. Raggi: Das größte Plus ist, dass sich die Beschwerden verbessern und es den Frauen besser geht. Sie haben keine Hitzewallungen mehr, schlafen besser und sie fühlen sich auch allgemein besser. Auch auf die Haut, das Herz, die Blutgefäße und die Knochendichte haben die Hormone einen positiven Einfluss.
Welche Risiken kann die Hormontherapie haben?
Dr. Raggi: Vor allem bei Risikopatientinnen, die übergewichtig sind oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben, müssen auch Nachteile in Betracht gezogen werden. Bei rauchenden Frauen, Frauen mit einem hohen Blutdruck, nach einem Herzinfarkt oder Übergewicht besteht vor allem zu Beginn der Hormontherapie ein erhöhtes Risiko für die Entstehung von Blutgerinnsel und nach längerer Anwendung steigt das Risiko für Brustkrebs etwas an – im Vergleich zu Frauen, die keine Hormone nehmen. Darüber sollten Frauen aufgeklärt werden. Diesbezüglich sollte man aber auch erwähnen, dass das Krebsrisiko ebenso ab zwei alkoholischen Drinks pro Tag, Übergewicht und geringer körperlicher Aktivität ebenfalls erhöht ist.
Welche Kontrolluntersuchungen werden bei menopausaler Hormontherapie empfohlen?
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Dr. Raggi: Wie für jede Frau über 50 werden regelmäßige Besuche bei der Gynäkologin oder dem Gynäkologen angeraten. Am Anfang sollte sie engmaschig sein, ungefähr nach 6 Wochen, nach 3 Monaten und 9 oder 12 Monate nach Beginn der Hormontherapie. Danach nach Bedarf bzw. einmal jährlich zur gynäkologischen Vorsorgeuntersuchung und alle zwei zum Brustkrebs-Screening bzw. zur Mammografie, wenn kein erhöhtes Brustkrebsrisiko besteht. Sollten Blutungen oder andere Beschwerden auftreten, die im Zusammenhang mit der Hormongabe stehen könnten, sollte eine Frau sofort zur ärztlichen Konsultation, um diese abzuklären.
Gibt es so etwas wie eine maßgeschneiderte menopausale Hormontherapie?
Dr. Raggi: Bei der Ermittlung der idealen Therapie sollte man sowohl die Krankheitsgeschichte der Patientinnen als auch ihre Wünsche und Vorlieben berücksichtigen. Das bedeutet für mich, es ist sehr wichtig, ihnen zuzuhören, sie in Therapieentscheidungen miteinzubeziehen und keine autoritäre Haltung an den Tag zu legen.
Man kann sagen, dass die Verabreichung der Hormone über die Haut in Bezug das Risiko für Blutgerinnsel die sicherste Variante ist. Andererseits gibt es auch Frauen, die weder Gel noch Pflaster verwenden möchten, sondern Tabletten bevorzugen. Risikopatientinnen empfehle ich aber die Variante als Gel oder Pflaster. Es ist ein sehr feiner Balanceakt, die maßgeschneiderte Therapie zu finden, und dies gelingt nicht immer gleich auf Anhieb. Darüber müssen die Patientinnen ebenfalls aufgeklärt werden.
Welche Hormonpräparate werden bei menopausaler Hormontherapie eingesetzt?
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Dr. Raggi: Ich verschreibe zumeist ein Gel mit 17beta-Estradiol, kombiniert mit oralem bioidentem Progesteron (mikronisiertem Progesteron) bzw. Dehydrogesteron als Tablette. Verhüten Frauen in den Wechseljahren mit einer Hormonspirale mit dem Gelbkörperhormon Levonorgestrel, empfehle ich, diese noch ein paar Jahre zu belassen. Bei Frauen mit vorzeitiger Menopause, vor allem vor dem 40. Lebensalter ist eine Hormontherapie klar indiziert. Die Frage jedoch ist, ob sie noch einen Kinderwunsch haben, und da braucht es dann andere Medikamente.
Wie lange sollen Frauen die menopausale Hormontherapie fortführen?
Dr. Raggi: Das ist eine gute und auch eine wichtige Frage. Ich vertrete die Meinung, dass eine Hormonersatztherapie längere Zeit fortgeführt werden soll und nicht nur einige Monate lang, weil nach dem Absetzen die Beschwerden meistens wieder kommen. Außerdem besteht bei Beginn einer Therapie, vor allem bei oralen Präparaten, ein etwas erhöhtes Risiko für die Entstehung von Blutgerinnsel, das dann mit der Zeit aber wieder abnimmt. Setzt eine Frau die Therapie nach einigen Monaten oder einem Jahr wieder ab, z.B. weil sie – meist aus einem anderen Grund - an Gewicht zunimmt, und beginnt dann wieder von vorne, weil die Hitzewallungen erneut kommen, ist das kontraproduktiv. Darüber sollte eine Frau bei Beginn einer Hormontherapie auch gut aufgeklärt werden.
Muss die menopausale Hormontherapie nach fünf Jahren beendet werden?
Dr. Raggi: Wenn eine Patientin vor der Hormongabe klassische Beschwerden wie Hitzewallungen hatte, dann kann der betreuende Arzt z.B. nach fünf Jahren die Situation wieder neu bewerten. Manche Frauen stehen einem Absetzen der Therapie eher skeptisch gegenüber, weil sie fürchten, dass die Beschwerden wiederkommen. Andere Frauen sind froh, wenn sie die Therapie absetzen können. Patientinnen, die mit einer Hormontherapie wegen vorzeitiger Wechseljahre begonnen haben, sollen aber nicht vor einem Alter von 50 bis 52 Jahren damit aufhören.
Generell gibt es aber keinen Grund mehr, warum eine die Hormontherapie routinemäßig nach einer gewissen Zeit, früher wurde diese Zeitspanne mit fünf Jahren angegeben, oder mit einem Alter von 65 Jahren beendet werden muss. Das betont auch die nordamerikanische Menopausegesellschaft in ihren aktuellen Empfehlungen* von 2022. Wenn es der Frau damit gut geht, kann sie weitermachen. Damit bleiben die Vorteile wie ein gewisser Schutz vor Osteoporose weiterhin aufrecht. Und wie schon erwähnt, das Brustkrebsrisiko ist leicht erhöht. Aber alle Frauen, die rauchen, regelmäßig Alkohol konsumieren, übergewichtig sind und keinen Sport machen, haben ebenfalls ein erhöhtes Brustkrebsrisiko.
*Auszug aus dem Statement: (...) Wie alle Medikamente ist auch die Hormonbehandlung mit einigen potenziellen Risiken verbunden. Bei gesunden Frauen mit Hitzewallungen, die jünger als 60 Jahre sind oder bei denen die Menopause vor weniger als 10 Jahre eingetreten ist, überwiegen die Vorteile der Hormonbehandlung im Allgemeinen die Risiken. Eine Hormontherapie ist nicht mit einer Gewichtszunahme verbunden und kann das Risiko senken, an Diabetes zu erkranken. (...) Es gibt keinen richtigen Zeitpunkt zum Absetzen der Hormonbehandlung. Sie und Ihr Arzt bzw. Ihre Ärztin werden gemeinsam entscheiden, wann der beste Zeitpunkt dafür ist.
Ist das Älterwerden mit Menopausebeschwerden ohne Hormontherapie noch zeitgemäß?
Dr. Raggi: Ich persönlich würde sagen: nein. Dennoch handelt sich dessen ungeachtet um eine medikamentöse Therapie und nicht alle Frauen wollen das. Es gibt auch Patientinnen, die lieber natürlich altern wollen.
Für mich bedeutet das konkret, dass es einen guten Grund für die Hormontherapie braucht, und das kann auch der Fall sein, wenn eine Patientin sich selbst nicht mehr leiden mag oder wenn sie z.?B. Schlafprobleme oder depressive Verstimmungen hat.
Wichtig ist, dass die Frauen gut aufgeklärt sind und verstehen, was diese Hormone bewirken, dass es sich bei den verschriebenen Hormonen zu einem großen Teil um natürliche, bioidentische Hormone handelt, die gut untersucht und in Studien getestet wurden.
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