Ende der 1990er galt die Hormonersatztherapie als Maß aller Dinge. Gynäkologen schrieben ihre Rezeptblöcke voll. So gut wie jede Frau ab fünfzig bekam Hormone verordnet. Man sprach vom Jungbrunnen schlechthin, von Anti-Aging, und die Wechseljahrbeschwerden waren auch im Nu verflogen.
Um die Jahrtausendwende kam die Ernüchterung. In Form von wissenschaftlichen Studien, die einen Zusammenhang zwischen den Hormonpräparaten und diversen Krebserkrankungen herstellten. Die Frauen waren im Schock, und mit ihnen die Ärzteschaft: Was haben wir da jahrelang genommen, bzw. verordnet?
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Bei zahlreichen, gut geprüften Präparaten wurde die Herstellung eingestellt, da die Firmen keine nennenswerten Umsätze mehr damit machten. Übrig blieben die Frauen, die unter Wechselbeschwerden litten – auch wenn inzwischen zweifelsfrei feststeht, dass eine korrekt durchgeführte Hormontherapie hilfreich und von geringem Risiko ist.
Was wir seit den Nullerjahren über Hormone gelernt haben
Aus den Studien um die Jahrtausendwende gibt es drei Haupterkenntnisse bezüglich der Faktoren, die bei der Entscheidung für oder gegen eine Hormonersatztherapie ausschlaggebend sind:
- Window of opportunity: Das Fenster der guten Gelegenheit öffnet sich rund um die letzte Blutung und stellt den optimalen Zeitraum für den Beginn einer Hormon-Einnahme dar.
- Kardiovaskuläre Situation: Wie ist das Herz-Kreislaufsystem beschaffen? Gibt es Risikokonstellationen bei der Frau im Bereich der Venen und Arterien die nachteilig für eine Therapie sind?
- Maligne Erkrankungen: Bestehen Risiken durch maligne Vorerkrankungen insbesondere von Brust, Eierstock und Gebärmutter, aber auch andere Formen von Krebs ( z.B. Melanom)?
Der Markt hinter der Hormonersatztherapie
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Als Antwort auf Hormonkrise der Jahrtausendwende haben neue Trends in der Hormontherapie fußgefasst. Ein Schlagwort ist bioident. Es vermittelt, dass dem weiblichen Körper etwas Sanftes, etwas Eigenes, etwas Heilsames zugeführt wird.
Und nicht selten werden Hausrezepturen verschrieben – aus der Werkstatt entsprechender Experten, die auf den Marketing-Zug aufgesprungen sind. Die Wirkung der Produkte kann eintreten – oder auch nicht. (Lit 1, 2, 3).
Diese Präparate sind meist niedrig dosiert, unterschiedlich kombiniert und gehen vorwiegend als Kapseln, aber auch als Cremes über den Ladentisch. Sie sind nicht nach den üblichen, strengen Richtlinien (klinische Studien; FDA, EMA) geprüft und würden einer wissenschaftlichen Kontrolle wahrscheinlich auch nicht standhalten.
Compounds: individuelle Mischungen aus der Apotheke
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Diese nach individueller Rezeptur zusammengestellten Hormonkompositionen sind in der angloamerikanischen Literatur und im Sprachgebrauch unter dem Namen Compounds bekannt. Bei uns werden diese Produkte meist unter bioidente Hormontherapie subsummiert. Es sind nach Hausrezepturen angefertigte Produkte. Die hormonellen Hausrezepturen (Compounds) erfahren ihre Zubereitung durch eine Apotheke und beinhalten Progesteron, Östradiol, Östriol; manchmal auch etwas Androgen in unterschiedlicher Menge.
Der Begriff bioident erweckt den der Eindruck: Das ist was Neues. Das ist bio, noch besser: bioident. Die Frau kann es getrost und vor allem gefahrlos probieren. In der Regel auf Selbstzahlerbasis. Es erhebt sich die berechtigte Frage, was haben denn Frauen früher verwendet, wenn es bioident erst seit den frühen 2000er Jahren gibt?
Die Antwort ist: Es waren gute, in Studien geprüfte Präparate, die aber – mit dem heutigen Wissen beurteilt – höher dosiert waren und die schon immer von den Krankenkassen übernommen wurden.
Bioidente Hormone gibt es längst auf Krankenschein
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Aber: Bioident muss nicht teuer sein. Die meisten Präparate, die von der Krankenkasse für die Hormonersatztherapie bezahlt werden, sind nicht nur gut geprüft und zugelassen, sondern sie entsprechen auch den Anforderungen von bioident dh. es entspricht dem körpereigenen 17 Beta Östradiol. Sollte es sich um Salben oder Cremes handeln, so sind die über die Sozialversicherung erhältlichen Produkte ebenfalls bioident und darüber hinaus ebenso in jahrelangen Studien geprüft.
Was aber zu erwähnen ist, wäre das Faktum, dass, bedingt durch die Hormonturbulenzen der letzten Jahre, einige gute Produkte, die von der Kasse bezahlt wurden, aufgrund der Tatsache, dass sich viel Firmen aus dem Geschäft zurückgezogen haben, den Frauen nicht mehr zur Verfügung stehen.
Am besten um die Wirkungen Bescheid weiß der/die Gynäkolog:in oder der/die Endokrinolog:in deines Vertrauens!
LIT1
National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine; Health and Medicine Division; Board on Health Sciences Policy; Committee on the Clinical Utility of Treating Patients with Compounded Bioidentical Hormone Replacement Therapy. The Clinical Utility of Compounded Bioidentical Hormone Therapy: A Review of Safety, Effectiveness, and Use. Jackson LM, Parker RM, Mattison DR, editors. Washington (DC): National Academies Press (US); 2020 Jul 1. PMID: 33048485.
Zitat:
The U.S. Food and Drug Administration (FDA) has approved dozens of hormone therapy products for men and women, including estrogen, progesterone, testosterone, and related compounds. These products have been reviewed for safety and efficacy and are indicated for treatment of symptoms resulting from hormonal changes associated with menopause or other endocrine-based disorders In recent decades, an increasing number of health care providers and patients have turned to custom-formulated, or compounded, drug preparations as an alternative to FDA- approved drug products for hormone-related health concerns. These compounded hormone preparations are often marketed as bioidentical or natural and are commonly referred to as compounded bioidentical hormone therapy (cBHT). In light of the fast-growing popularity of cBHT preparations, the clinical utility of these compounded preparations is a substantial public health concern for various stakeholders, including medical practitioners, patients, health advocacy organizations, and federal and state public health agencies
LIT 2
Stuenkel CA. Compounded bioidentical hormone therapy: new recommendations from the 2020 National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine. Menopause. 2021 Mar 11;28(5):576-578. Doi: 10.1097/GME.0000000000001735. PMID: 33739316.
Zitat:
Bioidentical hormones have the exact same chemical and molecular structure as hormones that are produced in the human body. Bioidentical hormones are available as FDA-approved hormone formulations. Nonapproved custom-compounded preparations are marketed as bioidentical, but content is uncertain.
LIT 3
Stuenkel CA. Compounded bioidentical menopausal hormone therapy - a physician perspective. Climacteric. 2021 Feb;24(1):11-18. doi: 10.1080/13697137.2020.1825668. Epub 2020 Oct 19. PMID: 33073628.
Zitat:
The widespread use of compounded bioidentical hormone therapy despite the lack of evidence to support its safety and efficacy is concerning.
One of the defining moments of the 80-year evolution of menopausal hormone therapy (MHT) was the 2002 reveal of the initial results of the combined hormone therapy arm of the Women's Health Initiative (WHI) clinical trial. The exodus from regulatory approved MHT was prompt and profound and accompanied by a rapid acceleration of the compounding pharmacy 'bioidentical' hormone therapy industry. Compounders had recruited prescribers and promoted compounded bioidentical hormone therapy (cBHT) well before the WHI, yet the startling results provided a catalyst that enabled a leap in production of compounded hormones that were variably regulated, basically unstudied, and inconsistently labeled.
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