Sie begegnen uns derzeit überall im Netz: Turnende Frauen, die mit somatischen Übungen und Pilates gegen aufgedunsene Gesichter und schwammige Haut ankämpfen, die angeblich von einem erhöhten Cortisolspiegel kommen. Aber gibt es das viel zitierte Cortisol-Face wirklich? Und ist es wirklich nötig, unseren Cortisolspiegel ständig im Blick zu behalten. Dr. Christian Matthai Facharzt für Gynäkologie und Hormonspezialist, klärt auf.
Was macht Cortisol im Körper?
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Dr. Matthai: Beim Cortisol handelt es sich um ein Hormon der Nebenniere. Es sorgt dafür, dass wir den Herausforderungen unseres Alltags gewachsen sind und gut in den Tag starten. Cortisol wird bei Stress ausgeschüttet, damit der Körper auf schwierige Situationen regieren kann. Es sorgt außerdem dafür, dass unser Blutzuckerspiegel steigt, was negative Auswirkungen auf Gewicht und Körperfett haben kann.
Wann und warum wird der Cortisolspiegel gemessen?
Dr. Matthai: Wir messen den Spiegel bei Verdacht auf eine hormonelle Störung wie z.B. dem Morbus Cushing (einem krankhaft erhöhten Cortisolspiegel), generell bei Verdacht auf Erkrankungen der Nebenniere, bei Osteoporose in jungen Jahren oder bei Verdacht auf ein Burnout Syndrom. Im Idealfall erfolgt diese Messung aus dem Speichel. Man kann Cortisol aber auch im Blut oder Urin bestimmen lassen.
Spürt man einen hohen Cortisolspiegel?
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Dr. Matthai: Den Spiegel spürt man nicht, aber die damit verbundenen Symptome führen die Menschen zum Arzt.
Wie äußert sich ein hoher Cotisolspiegel?
Dr. Matthai: Ein zu hoher Cortisolspiegel kann, muss sich aber nicht gezwungenermaßen klinisch äußern. Bei einem stressbedingten Cortisolüberschuss kann es zu Schlafstörungen, innerer Unruhe, Nervosität, Konzentrationsstörungen, Heißhunger, einer Abnahme der Muskelmasse und einer Zunahme des Stammfettes kommen. Bei einem krankheitsbedingten Cortisolüberschuss lagern Menschen vermehrt Wasser ein und sehen dementsprechend aufgedunsen aus.
Gibt es das Cortisol-Face – also das stressbedingt aufgedunsene Gesicht– tatsächlich?
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Dr. Matthai: Nein. Das ist eine Internetlegende.
Kann man einem Menschen einen zu hohen Cortisolspiegel ansehen?
Dr. Matthai: Im Krankheitsfall ja. Bei einem rein stressbedingten Cortisolüberschuss sehen Menschen lediglich belastet aus.
Was kann man tun, um den Cortisolspiegel zu senken bzw. konstant zu halten?
Dr. Matthai: Die Hormonspiegel des Cortisols unterliegen einem physiologischen Tagesverlauf. Ein konstanter Spiegel wäre pathologisch und ist somit nicht erstrebenswert. Früh morgens ist das Cortsiol sehr hoch, damit wir gut in den Tag starten und das Schlafhormon Melatonin sinkt (Cortisol senkt das Melatonin). Hilfreiche und wichtige Maßnahmen liegen darin, einen vernünftigen Ausgleich zwischen Be- und Entlastungen zu schaffen, die Schlafhygiene zu pflegen, regelmäßig Sport zu betreiben und/oder zu meditieren. Auch Pflanzenextrakte in Form von Nahrungsergänzungsmitteln wie Ashwagandha oder Rhodiola können hilfreich sein. Sie gehören zur Gruppe der Adaptogene und greifen regulativ in den Cortisolstoffwechsel ein.
Was passiert, wenn der Cortisolspiegel dauerhaft zu hoch ist?
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Dr. Matthai: Nach vielen Monaten der Überlastung kann es zu einer Nebenniereninsuffizienz (die Nebenniere bildet dann zu wenig Hormone) kommen, die dann mit einem deutlich erniedrigten Cortisolspiegel einhergeht. Menschen, die dieses Schicksal trifft, können dann ihren Lebensalltag nicht mehr bewältigen und bekommen die Diagnose eines Burnouts.
Verhindert ein hoher Cortisolspiegel Gewichtsverlust?
Dr. Matthai: In vielen Fällen haben Menschen mit dauerhaft erhöhten Cortisolspiegeln auch öfter Heißhunger und essen demnach mehr. Obendrein kann Cortisol als kataboles Hormon (= Substanz abbauend) auch zu einer Abnahme der Muskulatur führen. Das wiederum erniedrigt den Energiegrundumsatz. Also theoretisch ja.
Sollte man sich generell Gedanken zu seinem Cortisolspiegel machen?
Dr. Matthai: Jede hormonelle Veränderung wider die Natur kann gesundheitliche Probleme mit sich bringen! Dessen sollte man sich bewusst sein. Muss deshalb jeder seinen Cortisolwert kennen? Nein, sicher nicht. Nichtsdestotrotz ist chronischer Stress, der ja stets mit erhöhten Cortisolspiegeln vergesellschaftet ist, ein Risikofaktor für die Entstehung von Krankheiten.
Ein gesunder Lebensstil wird oft als Stressvorsorge genannt - wie sieht dieser aus?
Dr. Matthai: Jeder weiß, dass eine gute, ausgewogene Ernährung, ein normales Körpergewicht und ein aktives, sportliches Leben die Säulen unserer Gesundheit darstellen. Es versteht sich von selbst, dass das Meiden von Nikotin und ein sehr eingeschränkter Alkoholkonsum dazugehören. Was viele Menschen missachten, ist die Balance zwischen Be- und Entlastung. Damit ist sehr oft auch ein unregelmäßiger und nicht erholsamer Schlaf verbunden. An dieser Stelle möchte ich zu mehr Achtsamkeit aufrufen. Den Tipp "Stress zu meiden" gebe ich nicht mehr. Das ist in Zeiten wie diesen unrealistisch. Umso wichtiger wird es für ausreichend Erholung und ausgleichende Ruhephasen zu sorgen.
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