Die Wechseljahre bergen die große Chance in sich, sich als Frau seinen Emotionen bewusst zu werden, sich ihnen zu stellen und sie als Türöffner zu betrachten. Häufig verlieren wir mit dem Beginn der Menopause die Perspektive und damit die Freude am Tun. Wir werden uns des Altwerdens bewusst und können uns wertlos fühlen. Wir beginnen zu grübeln und treten den Rückzug an – oder aber auch die Flucht nach vorne. Alte Traumata, die mit der Hormonumstellung verstärkt zum Vorschein kommen können, können ein Grund dafür sein.
War das Leben bis zum Eintreten der Wechseljahre noch eine emotionale Achterbahn mit all ihren Höhen und Tiefen, nehmen für viele Frauen die Tiefen nun überhand. Wir wissen, Depressionen und Ängste sind ein häufiges Symptom der Wechseljahre. Das Abfallen der Hormonspiegel wirkt sich stark auf unser Lebensgefühl aus. Plötzlich schlagen Themen auf, die davor nicht so im Vordergrund standen. Krisen tun sich auf, weil das Östrogen, das anscheinend wie ein Schutzmantel wirkt, regelrecht abfällt.
Alte Traumata werden spürbar
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Durch die Hormonumstellung können allerdings auch alte Traumata – besonders Entwicklungstraumata - aufbrechen und sich spürbar machen. Dass alle Menschen in ihrem Heranwachsen als Kind immer das Richtige bekommen haben, ist äußerst unwahrscheinlich. Das beginnt beim Säugling.
Komme ich auf die Welt, kann ich weder mein Nervensystem regulieren noch ist mein Gehirn fertig ausgebildet. Es braucht eine Bezugsperson, die am Lebensbeginn ko-regulieren muss, damit ich mich beruhige. Wenn der Säugling häufig nicht ko-reguliert wird, kann eine Folge daraus sein, dass das Nervensystem in einem höheren Anspannungsmodus bleibt. Wird auf die Bedürfnisse eines Säuglings/Kleinkindes – etwa nach Nähe und Aufmerksamkeit – nicht eingegangen, beginnt das Neugeborene, Überlebensstrategien zu entwickeln. Etwa sich anzupassen wie besonders lieb sein und die eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken.
Ein positiver Kontakt zur Mutter, eine sichere Bindung, ein sicheres Umfeld, positive Bestärkung, das Aufgreifen und Befriedigen der Bedürfnisse des Säuglings/Kleinkindes hat einen positiven Einfluss auf unsere Entwicklung und lässt einen Menschen heranwachsen, der seine Bedürfnisse klar kommunizieren kann, seine Selbstwirksamkeit, seine Grenzen wahrnimmt und sich auch mitteilen kann.
Wissenschaftler gehen davon aus, dass Traumata auch über Generationen weitervererbt werden, was sich in Tierversuchen bei Mäusen gezeigt hat. Prof. Dr. Luise Reddemann hat ihre Erfahrungen bei der Begleitung ihrer KlientInnen in diesem Bereich als Neurologin und Psychotherapeutin ausführlich dokumentiert.
Auch bei Aufstellungsarbeiten zeigt sich dieses Phänomen immer wieder. Wurde die Großmutter in ihrer Jugend missbraucht, kann es sein, dass sich die Enkeltochter vielfach unsicher verhält. In Mitteleuropa ist durch die Weltkriege noch sehr viel Trauma da, das nachwirkt.
Kleines Toleranzfenster versus großes Toleranzfenster
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Die Krux an der Geschichte: Auch wenn wir dies lesen und verstehen, lässt sich das nicht einfach verändern. Zuerst müssen wir das Neue spüren, damit wir überhaupt erst mal anders reagieren können. Die neue Erfahrung muss in den eigenen Körper durchdringen.
Einen hohen Stellenwert in der Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich hin zu einer Veränderung nimmt das sogenannte Window of tolerance (Dr. Dan Siegel) ein. Das ganz persönliche Toleranzfenster.
Wenn wir uns innerhalb dieses Fensters befinden, haben wir das Gefühl, das Leben gut bewältigen zu können und spüren auch Leichtigkeit, Selbstbestimmtheit und Selbstwirksamkeit. Aufgrund von frühkindlichen Erfahrungen kann dieses Toleranzfenster jedoch sehr eng sein, was Veränderung fast unmöglich macht, da es uns relativ rasch in eine Überforderung führen kann.
Wichtig ist, dass dieses Toleranzfenster ein dynamisches Modell ist, das auch situationsbedingt und stimmungsbedingt mal größer und mal kleiner sein kann und auch veränderbar ist.
Wird ein kleines Toleranzfenster von den im Wechsel auftretenden Beschwerden regelrecht beschossen, kann es sein, dass ich diese viel stärker erlebe. Ist das Stresstoleranzfenster hingegen größer, werde ich wahrscheinlich mehr Stresstoleranz haben und die Wechselbeschwerden als weniger stark empfinden.
Was ist das Ziel der Reise zu einem neuen Selbst?
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Wir streben ein gesteigertes Gefühl der Selbstakzeptanz, Selbstfindung und eine Erhöhung der Lebensqualität an. Die Frau soll spüren, dass sie die Gestalterin ihres eigenen Lebens sein kann – Macherin ist und keinen Opferstatus einnehmen darf. Es ist eine innere Haltung, auf die der Fokus gelegt werden soll. Das ändert unser Leben. Denn ein traumatisiertes Nervensystem kann Fülle nicht erleben, weil es entweder in der Vergangenheit feststeckt oder in die Zukunft gebeamt wird. Ich kann mein Leben jedoch nicht gestalten, wenn ich nicht im Hier und Jetzt lebe.
Das autonome Nervensystem reagiert leider unbewusst. Es hat nichts anderes zu tun, als uns am Leben zu erhalten. Es scannt permanent, ob Gefahr droht. Trifft man dann auf einen Trigger-Punkt, der in die frühe Vergangenheit zurückreicht, ist es mir oft nicht mehr möglich, ruhig zu bleiben, bedacht zu handeln, nachzudenken und entspannt zu sein. Meine Reaktion in der aktuellen Situation ist vielfach nicht adäquat und für andere nicht nachvollziehbar.
Es braucht Übung – jeden Tag
Eine Veränderung braucht Zeit und Konsequenz. Deshalb ist tägliche Übung von Bedeutung – denn unser Toleranzfenster zu verändern, verhält sich wie ein Muskel, den ich bis dato noch nie trainiert habe.
Hier ein Übungsbeispiel:
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- Suche dir im Raum eine Ressource – eine Blume, ein Bild oder auch ein inneres Bild – und orientiere dich im Raum.
- Spüre deinen Sessel, auf dem du sitzt, dass er dich hält und trägt. Spür nach, ob du dich sicher fühlst.
- Beginne, über ein Thema zu sprechen, spüre, wie dein Körper darauf reagiert.
- Treten negative Emotionen auf, die dich überwältigen können, gilt es, zu stoppen und sich dessen bewusst zu werden, wo du in diesem Moment positiv verankert bist.
- Stelle dir die Frage, ob es im Moment lebensgefährlich ist oder ob es unangenehm ist. Spüre den Unterschied.
- Wenn du spürst, dass es nur unangenehm ist, wird sich die Anspannung etwas lösen und du kannst dich wieder dem Thema zuwenden.
- Jedes Mal, wenn du das Gefühl hast, es wird dir zu viel, verbinde dich wieder mit der Ressource und warte, bis du wieder ruhiger wirst.
- Pendle immer wieder hin und her zwischen Ressource und Thema. Dadurch machst du vielleicht erstmals die Erfahrung, dass du die Situation steuern kannst.
- Neue Synapsen in deinem Gehirn werden gebildet, welche immer wieder durch die Übung verstärkt werden.
Ich muss Muster durchbrechen, neue Erfahrungen machen, um neue Synapsen bilden zu können. Ich kann nach und nach mehr Stress halten und vergrößere damit mit der Zeit mein persönliches Toleranzfenster. Das ermöglicht mir, mehr Lebensqualität zu erfahren, da ich weniger Stresssituationen empfinde. Ich erlange die Fähigkeit, mein restliches Leben mehr zu gestalten.
Im Endeffekt geht es darum, Freude am Leben zu spüren, zu erkennen und zu spüren, dass nur ich für mein Glück und meine Gesundheit zuständig bin und es auch verändern kann.
In Bewegung kommen
Neben der bewussten Auseinandersetzung mit sich selbst, gibt es noch weitere Komponenten, die wichtig sind. Das ist einerseits die Ernährung und andererseits Bewegung. Es gilt, in Bewegung zu kommen und beweglich zu bleiben. Sowohl innerlich als auch äußerlich.
Die Wechseljahre sind eine Chance, uns selbst zu finden, alte Traumata zu lösen, unsere Bedürfnisse wahrzunehmen, unser Potential vielleicht erstmals zu spüren und zu entfalten. Das alles trägt dazu bei, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Selbstgestalterinnen unseres Lebens zu werden, bedeutet auch, eine neue Freiheit und Fülle zu spüren.
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