Hormone werden geschluckt. Über viele Jahre – häufig Jahrzehnte – hinweg ist dies auch tatsächlich der Fall. Denken wir etwa an die unterschiedlichsten Pillenarten, die wir als Verhütung unserem Körper zuführen. Ob Östrogen oder Gelbkörperhormone – Schlucken ist Usus und auch in unseren Köpfen so verankert. Bioidente Hormone hingegen, wie sie immer häufiger in den Wechseljahren zum Einsatz kommen, werden meistens über die Haut oder die Schleimhäute angewendet. Wie sich die Anwendungsarten unterscheiden, erklärt die Gynäkologin Dr. Angelika Graf.
Der Unterschied zwischen bioidenten und synthetischen Hormonen
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Bioidente Hormone sind Wirkstoffe, die ihren Ursprung zumeist in der Yamswurzel und der Sojabohne haben. Als Basis für die Herstellung von bioidentem Estradiol und Progesteron dient der Pflanzenstoff Diosgenin. Um diese Wirkstoffe zu produzieren, wird zunächst der Rohstoff aus der Pflanze extrahiert. Im Labor wird dieser in entsprechende Hormone umgewandelt. Im Fall von bioidentem Östrogen etwa, werden Verbindungen wie Estradiol aus dem Gewächs isoliert und chemisch modifiziert. Das dann vorliegende Hormon wird in Cremes, Gele, Zäpfchen oder Kapseln eingebracht. In ihrer biochemischen Struktur und Funktion sind bioidente Hormone mit jenen Hormonen, die der Körper selbst produziert, ident und sie fügen sich damit gut in den Hormonkreislauf ein.
Bei den synthetischen Hormonen weicht die chemische Struktur von den körpereigenen ab. Synthetische Östrogene und Gestagene sind genau genommen Medikamente mit hormonähnlicher Wirkung. Sie haben auch völlig andere Aufgaben und Eigenschaften als unsere körpereigenen Hormone. Ein Beispiel: Natürliches Progesteron bereitet die Gebärmutterschleimhaut auf die Einnistung einer Eizelle vor. Es wirkt unter anderem auch beruhigend, angstlösend und schlaffördernd. Synthetische Gestagene hingegen verhindern den Eisprung und können etwa Depressionen auslösen.
Östrogen: Besser auf die Haut auftragen
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Soviel zu den unterschiedlichen Herstellungsverfahren und auch Wirkungen. Doch bleiben wir bei den bioidenten Hormonen. Auch die Form der Anwendung ist für Wirkung beziehungsweise Nebenwirkung relevant.
Das Östrogen – genauer gesagt das 17-Beta-Östradiol – sollte als Creme verabreicht werden, betont Dr. Angelika Graf. Über die Haut können dem Körper – bioident – jene Mengen zugeführt werden, wie sie in der fruchtbaren Zeit vom Eierstock produziert werden. Beim Auftragen auf die Haut wird im Vergleich zum Schlucken zudem der Weg über die Leber umgangen und das Estradiol gelangt so direkt ins venöse System.
Beim Schlucken: First Pass Effekt
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Werden Wirkstoffe oral eingenommen, durchlaufen sie den sogenannten First-Pass-Effekt. In der Pharmakologie bezeichnet man damit die Verstoffwechslung – die Metabolisierung – eines Arzneistoffs, sobald dieser im Rahmen der Verdauung zu unserem Entgiftungsorgan, der Leber, gelangt. Der First-Pass-Effekt beeinflusst entscheidend die Wirksamkeit von Substanzen – und damit auch jene der oral zugeführten Hormone – sowohl synthetische als auch bioidente.
Einfach ausgedrückt: Die Leber baut Arzneimittel ab oder aktiviert sie. Je nachdem, ob sie das mehr oder weniger tut, kann es zu unterschiedlichen Wirkungen, aber auch unerwünschten Wirkungen, wie etwa Thrombosen, kommen. Um diesen körpereigenen Mechanismus zu umgehen, ist die Aufnahme bioidenter Hormone über die Haut oder Schleimhäute eine sinnvolle Vorgangsweise.
Progesteron: Es kommt darauf an
Etwas anders sieht die Situation beim Progesteron aus. Es wird zumeist in Kapseln, Tabletten, Zäpfchen oder Gels verabreicht – je nachdem, ob die Anwendung oral oder vaginal erfolgt. Vaginal wäre die beste Therapie, erklärt Dr. Graf.
Allerdings nicht so bei Frauen mit Schlafproblemen oder Unruhezuständen. Sie genießen beim Schlucken des Progesterons den Vorteil, dass die Leber Metabolite wie Allopregnolonon – ein Zwischenprodukt von Progesteron – produziert, das müde macht und beruhigt. Das heißt, je nach Symptomatik wird über die Einnahmeform entschieden.
Ohne Hormonstatus keine Hormone
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Allem voran geht eine gründliche Anamnese und die Bestimmung des Hormonstatus. Dabei ist zu beachten, dass
- die Östrogenwerte in der ersten Zyklushälfte, nämlich zwischen dem 8. und 10. Tag
- das Progesteron sowie die Schilddrüsenhormone zwischen dem 20. und 22. Tag
mittels Blutuntersuchung gemessen werden sollten. Das hat biologische Gründe:
- In der ersten Zyklushälfte baut die Gebärmutter unter dem Einfluss von Östrogen die Schleimhaut auf. Daher ist Östrogen das vorherrschende Hormon.
- Nach dem Eisprung, also in der zweiten Zyklushälfte, wird vermehrt Progesteron gebildet. Dieses sorgt für einen Umbau der Gebärmutterschleimhaut und bereitet den Uterus für die Einnistung einer befruchteten Eizelle vor. Daher ist Progesteron in dieser Zeit das vorherrschende Hormon.
Mängel lassen sich daher nur zu bestimmten Zeitpunkten feststellen.
Die Dosis hängt von Symptomen und Blutspiegel ab
In Folge ist eine weitere Blutabnahme nach etwa zwei Monaten sinnvoll, um die Werte zu kontrollieren und die Dosis anpassen zu können. Ist die ideale Dosis gefunden – sie hängt von der Befindlichkeit und vom Blutspiegel ab –, reicht eine halbjährliche Kontrolle, betont Dr. Graf.
Die meisten Patientinnen kommen schon mit 40 in die Ordination. Sie haben großteils Beschwerden in der zweiten Zyklushälfte. Also zu einem Zeitpunkt, an dem der Körper beginnt, weniger Progesteron freizusetzen. Ein Teil der Frauen klagt über sogenannte PMS-Symptome wie Wasserstau, Blähungen oder Brustspannen. Andere sind nervös, gereizt, haben Schlafprobleme und können sich nicht mehr so gut konzentrieren. All diese Befindlichkeitsstörungen haben ihre Ursache in einem Mangel an Progesteron.
Die Macht der Hormone
Hormone haben einen immens großen Einfluss auf den weiblichen Körper. Immer häufiger werden auch nicht typische menopausale Beschwerden, wie etwa Bluthochdruck, hohe Blutfettwerte oder Gelenksschmerzen, mit dem Wechsel in Verbindung gebracht. Endokrinolog:innen und/oder Gynäkolog:innen sind die erste Anlaufstelle für Fragen rund um die Hormonsituation in den Wechseljahren und beraten über Therapiemöglichkeiten.
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